Die Hüter der Schatten
und Mühe investiert, ist jedes Problem lösbar, sogar die einander widersprechenden Anforderungen zweier Karrieren – nein, dreier, denn wir müssen auch Emilys Ausbildung einbeziehen. – Laß mich einfach da hinten aussteigen, ja? Dort, wo ›Abflüge‹ steht. Ich hasse Abschiedsszenen. Behalte den Mercedes für diese Woche. Inzwischen fährst du ihn besser als ich.«
»Wann kommst du zurück? Mittwoch, Donnerstag?«
»Wahrscheinlich erst am Freitag«, antwortete er. »Am Mittwoch fliege ich nach Chicago. Du kennst ihn sicher nicht persönlich, aber bestimmt weißt du, wer Lewis Heysermann ist …«
»Der Dirigent?«
»So ist es. Dieses Jahr hat man ihn nach Chicago eingeladen. Wir sind Freunde, seit wir zusammen am Juilliard studiert haben«, sagte Simon. »Er schuldet mir noch einen Gefallen. Ich will versuchen, ihn dazu zu bringen, das Concerto für nächstes oder übernächstes Jahr einzuplanen. Als Comeback-Konzert.«
Gott sei Dank, dachte Leslie. Trotz seiner Niedergeschlagenheit gestern nacht glaubt er, bereit zu sein. Er muß es schließlich wissen. »Ich weiß nicht, ob ich viel Glück sagen soll, Simon, oder Hals- und Beinbruch.«
»Denk einfach an mich, Liebling, und wünsch mir, daß die kleinen Bestien mich nicht unterkriegen«, bat Simon. »Wie ich das Unterrichten hasse! Aber ich vermute, auch das ist eine Verantwortung.«
Leslie hielt vor dem Terminal von Delta Airlines, und Simon beugte sich zu ihr hinüber, um sie zu küssen. Dann winkte er gebieterisch einem Gepäckträger, der herbeigerannt kam, um Simons kleinen Koffer vom Rücksitz des Mercedes zu nehmen. Mit ihrem VW-Käfer hätte Leslie eine Viertelstunde warten müssen, ehe ihr dieser Service zuteil geworden wäre. »Ich rufe dich aus Dallas an, Liebling. Gott segne dich.« Leslie war verblüfft. Sie hatte noch nie gehört, wie Simon den Herrn anrief. Sie saß da und schaute zu, wie seine graugekleidete Gestalt im Inneren des Terminals verschwand, bis ein Taxifahrer ihr von hinten zurief: »Nun machen Sie schon, Lady, und bewegen Sie endlich den verdammten Wagen.« Sie legte den Gang ein und fuhr los.
19
Am Mittwochabend rief Simon kurz an. Er berichtete, seine Meisterklasse sei gut verlaufen; am nächsten Morgen werde er nach Chicago fliegen.
»Wie geht es Emily?«
»Nach den Klavier- und Cembalogeräuschen, die ich heute morgen und am Nachmittag gehört habe, geht es ihr gut. Sie schneidet gerade Zitronen für ihre Marmelade.«
»Kann ich mit ihr reden?«
Leslie schob das Telefon über den Tisch ihrer Schwester zu, die einen Blick auf ihre zitronentriefenden Hände warf und das Gesicht verzog. Lächelnd lauschte sie ein paar Minuten in den Hörer. »Möchtest du Les noch mal sprechen?« fragte sie dann. »Okay, dann gute Nacht.« Sie legte auf. »Er sagt, ich soll dir einen Kuß von ihm geben, aber damit mußt du dich wohl gedulden. Meine Hände sind voller Zitrone. Zitronensaft ist sehr gut für die Hände. Er bleicht Sommersprossen und Altersflecken.«
»Deine Hände sind bestimmt schrecklich altersfleckig«, versetzte Leslie trocken. »Was hat Simon gesagt?«
»Simon sagt … es klingt wie das alte Kinderspiel. Du weißt schon, wo man Riesenschritte oder Babyschritte macht und sich nur bewegen kann, wenn man ›darf ich?‹ fragt. Jedenfalls sagt Simon, daß niemand in der Meisterklasse so gut Rachmaninow spielt wie ich, und ich solle nicht zu viel Pektin an die Marmelade tun. Er ruft Freitagabend an und erzählt uns, wie die Sache mit … Heiermann? … gelaufen ist.«
»Heysermann.«
Am Donnerstag ging Leslie nach Haight, um Shampoo zu kaufen. Sie kam am Buchladen vorbei, ging jedoch nicht hinein, obwohl sie Claire gern nach diesem betrügerischen Medium gefragt hätte, von dem die Anruferin ihr erzählt hatte. Monsignore und Poltergeist schlichen im Schaufenster herum, und hinter der langen Ladentheke saß Colin und las. Die ganze Atmosphäre wirkte so anheimelnd, daß Leslie nur zu gern hineingegangen wäre. Aber sie hatte wirklich keine Zeit; außerdem würde sie Claire nur freitags antreffen. Und Colin allein gegenübertreten wollte sie nicht, schon wegen seiner negativen Einstellung Simon gegenüber. Sie wollte sich keine Diskussion aufzwingen lassen. Was für ein Jammer, daß die beiden Männer keinen Kompromiß finden oder es einfach dabei belassen konnten, verschiedene Auffassungen zu vertreten.
Während Leslie die Straße entlangschlenderte, fühlte sie sich versucht, in eine der reizenden
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