Die Hüter der Schatten
überlegt, ob ich mich am Instrumentenbau versuchen soll, und habe mit einem Burschen zusammengearbeitet, der mittelalterliche Instrumente anfertigte. Ich habe ein Krummhorn gebaut und mich sogar an einer Viola versucht. Das Beste, was ich je zustande gebracht habe, war ein hübsches kleines Cymbal. Und ich habe ein Cembalo aus einem Bausatz montiert. Ich spiele zwar nicht oft darauf, aber es ist ein sehr schönes Stück. Wenn du möchtest, leihe ich es dir. He, Moment mal«, unterbrach er sich, »ich muß deine Schwester etwas fragen. Dr. Barnes?« Frodo steckte den Kopf in die Küche. Leslie schnitt gerade den Kuchen auf. Frodo sog genießerisch den Duft von Zimt und Nelken ein; dann nahm er einen großen Bissen, kaute und erkundigte sich: »Ich nehme an, die Versicherungsleute haben Sie gefragt, ob Sie Feinde haben?«
»Ja, aber mir ist nichts dazu eingefallen.« Vor zwanzig Jahren, überlegte Leslie, wäre diese Frage vielleicht von Interesse gewesen. Aber heutzutage war blinde, sinnlose Gewalt nicht die Ausnahme, eher die Regel.
»Haben Sie schon mal daran gedacht, daß der Täter, wer immer es gewesen sein mag, überhaupt nicht Sie meinte, sondern über Sie an Simon herankommen wollte? Es gibt viele Menschen, die ihn nicht mögen, und er kennt eine ziemliche Menge … Verrückter und Spinner. Und wer immer dieser Kerl war, er hatte es offenbar nicht so sehr auf den Flügel und die Harfe abgesehen, sondern auf Ansteys Cembalo. Das hat er ja wirklich gründlich zerlegt.«
Leslie hatte vermutet, das Cembalo habe deshalb die schlimmsten Schäden davongetragen, weil es empfindlicher war als der Flügel, zerbrechlicher. Jetzt kam sie ins Grübeln.
»Aber wenn die Versicherungsdetektive nach Simons Feinden suchen«, warf sie berechtigterweise ein, »könnten sie durchaus auf Sie kommen, Frodo. Oder auf Claire und Colin.«
»Halten Sie mich für so verdreht?« gab er zurück. »Ich könnte den Hammer, den Stahlträger – keine Ahnung, womit man einen solchen Schaden anrichten könnte – ja nicht mal hochheben. Claire erst recht nicht, und Colin ist ein alter Herr und hat ein schwaches Herz. Vergessen Sie’s, Dr. Barnes. Ich kann nicht behaupten, daß ich Anstey gut leiden mag, aber wenn ich ihm eins auswischen wollte, würde ich ihm persönlich was auf die Nase hauen, statt im Dunklen herumzuschleichen und Instrumente zu zerschlagen. Ich bin kein Waschlappen, aber so etwas brächte ich beim besten Willen nicht fertig. Da müßte ich schon eine ganze Schlägertruppe mitbringen.«
Leslie wußte, daß er recht hatte. Sogar der massige Joe Schafardi hatte sich ähnlich geäußert. So sehr Leslie auch ihre Phantasie bemühte, sie konnte sich nicht vorstellen, daß der sanfte, elfengleiche Frodo wie ein Rasender auf Musikinstrumente losging. Sie hatte gesehen, wie zärtlich er über seine Gitarre strich.
Emily kam ins Zimmer und roch den Gewürzkuchen. »Oh, toll. Schneidest du mir ein Stück ab, Frodo?« Immer noch waren ihre Augen gerötet und von dunklen Ringen umgeben, aber Leslie sah dankbar, daß Emily wieder lebendiger wirkte. Das Mädchen setzte sich an den Tisch, aß ihr Stück Kuchen und trank einen Tee.
Das Telefon klingelte. Emily griff nach dem Hörer, aber Leslie war schneller.
»Hier bei Dr. Barnes – Simon!«
»Hallo, Liebling.« Trotz der vielen Meilen, die zwischen ihnen lagen, klang seine Stimme warm und lebendig, und plötzlich wünschte Leslie, sie hätte sich in seine Arme werfen und weinen können, wie Emily es bei Frodo getan hatte.
»Ach, Simon, ich wünschte, du wärst hier gewesen!«
»Simon? Ich will mit ihm sprechen«, drängte Emily, doch Leslie schüttelte den Kopf. »Warte, Emmie.«
»Schatz, was ist los?« fragte Simons Stimme am anderen Ende der Leitung. »Ist etwas passiert?«
Leslie holte tief Luft. »Weißt du noch … vielleicht hat Emily dir davon erzählt … Vor einiger Zeit ist ein Psychopath in den Orchestersaal des Konservatoriums eingedrungen und hat einige Instrumente zerstört. Und … und gestern nacht ist derselbe Mann hier bei uns eingebrochen. Mit einem Vorschlaghammer oder einem ähnlichen Gegenstand. Er hat auf Emilys Flügel und ihre Harfe eingeschlagen, und … Simon, er hat dein Cembalo demoliert.«
»Verdammt! Aber viel wichtiger ist, daß euch nichts geschehen ist«. Simons Stimme klang mitfühlend und voller Sorge. »Wenn ich nur dort gewesen wäre! Um Himmels willen, hat der Kerl euch wirklich nichts getan?«
»Nein, uns ist nichts passiert. Der
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