Die Hüter der Schatten
immer noch unter Schock. Ach, da ist ja Joe wieder.« Officer Schafardi stand neben dem Streifenwagen. Jetzt kam er den Weg herauf, und Pat Ballantine ließ ihn ein.
»Glück gehabt?«
»In der gesamten Umgebung gibt’s keine Spur von dem Burschen«, antwortete der Officer. »Das ist mal wieder so ein Tag, den man im Kalender rot anstreichen sollte!« Er trat in die Küche. »Komisch, gestern abend wollte ich Sie schon anrufen, Dr. Barnes, aber dann ist etwas dazwischen gekommen. Erinnern Sie sich noch an diesen Vermißtenfall? Den jungen Mann? Wir haben die Sache überprüft und herausgefunden, daß er eine Wanderkarte für die Cascades gekauft hat. Die Forstaufseher haben ihn und das Mädchen gefunden – die beiden saßen auf einem Felssims fest. Sie hatten zu essen und waren soweit in Ordnung, aber der Junge hatte sich drei Zehen abgefroren, und man mußte die beiden mit einem Hubschrauber herunterholen. Die Familie des Mädchens hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, eine Vermißtenanzeige aufzugeben. Meine Güte, was für Eltern! Wenn wir das gewußt hätten … Naja, jedenfalls sind die beiden wohlauf, das wollte ich Ihnen nur sagen.«
Der Teekessel pfiff. Leslie goß heißes Wasser über einen Beutel Kamillentee und stellte die Tasse vor Emily hin. »Möchte sonst noch jemand einen Tee? Oder Kaffee?«
Die beiden Polizisten ließen sich zu einem Instant-Kaffee überreden, und Leslie holte für Schafardi Milch aus dem Kühlschrank.
»Das tut gut, danke«, sagte Schafardi. »Wir werden eine Fahndung nach dem Mistkerl herausgeben, der das hier angerichtet hat …« Zornig schüttelte er den Kopf. »Was für eine Schweinerei. Ich glaube nicht, daß ich so was zustande bringen könnte, und ich wiege über zwei Zentner und bin fast eins achtzig groß. Wir sind auf der Suche nach einem ziemlich großen Burschen mit Bärenkräften.«
»Vielleicht war es ja derselbe, der die Instrumente im Konservatorium zerschlagen hat«, bemerkte Emily mit leiser, bebender Stimme. »Damals ist jemand in den Orchestersaal eingebrochen und hat ein Cello zertrümmert …«
»Dieses Instrument, das wie eine Geige aussieht, nur daß es fünfmal so groß ist?«
»Genau. Und es sah aus, als hätte der Täter die Timpani – das sind die Kesselpauken – eingetreten oder mit einem schweren Hammer bearbeitet.«
Pat Ballantine trank ihren schwarzen Kaffee aus. »Kommt mir vor, als hätten wir’s mit einem Irren zu tun. Wer außer einem Verrückten würde herumlaufen und Musikinstrumente zerschlagen? Sie stehlen, ja, und an einen Hehler verscherbeln. Aber sinnlos zerstören? Auf diese Weise?« Mit einer Schulterbewegung wies sie in Richtung Musikzimmer. »Das Instrument hier hat er beinahe pulverisiert. Was war das mal? Ein Klavier?«
»Ein Cembalo«, erklärte Emily matt und brach wieder in Tränen aus. »Oh, Leslie, was wird Simon dazu sagen? Miss Margraves Cembalo! Das Instrument war eigentlich nicht meines«, erklärte sie den beiden Polizisten schluchzend. »Es gehört meinem Lehrer. Er hat es mir geliehen … Oh, Les, was soll ich Simon erzählen?«
»Er hat doch gesagt, das Cembalo sei versichert. Am besten, wir setzen uns mit ihm in Verbindung, damit er die Versicherung benachrichtigt«, meinte Leslie. »Und ich muß wohl morgen unsere Gesellschaft wegen des Flügels anrufen, obwohl ich gar nicht weiß, wie hoch die Summe ist oder ob die Police Vandalismus überhaupt abdeckt. Emmie, Schatz, trink deinen Tee. Ich weiß, daß es ein schlimmer Schock für dich war, aber Weinen hilft jetzt auch nicht weiter.«
»Ich kann mir bloß nicht vorstellen, wie der Bastard ins Haus gelangt ist«, meinte Schafardi. »Die Hintertür war abgesperrt und verriegelt. Du sagst, das Fenster im oberen Stockwerk stand offen, Pat?«
»Ja, aber dann hätte der Einbrecher direkt über Emily hinwegklettern müssen«, antwortete Pat. »Er ist dort nicht eingestiegen, könnte auf diesem Weg aber wieder nach draußen gelangt sein, als wir alle hier unten waren, uns den Schaden angeschaut und das Erdgeschoß durchsucht haben.«
»Über die Vorderfront ist er nicht gekommen«, erklärte Schafardi, »weil Dr. Barnes uns zuerst die Tür aufschließen mußte.«
Leslie ließ die Szene vor ihrem inneren Auge an sich vorüberziehen und spürte noch einmal, wie der Riegel sich unter ihrer Hand drehte, als sie die Polizisten eingelassen hatte. »Vorn war abgeschlossen«, bestätigte sie.
»Zu schade, daß Sie Ihre hellseherischen Fähigkeiten nicht
Weitere Kostenlose Bücher