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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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beschmutzt. Einen normalen Diebstahl hätte sie noch begriffen. Nicht verziehen, aber verstanden. Nicht aber diesen verrückten, sinnlosen Gewaltakt. Leslie wünschte sich, Simon würde anrufen. Sie nahm den Telefonhörer ab und überlegte, ob sie am Konservatorium Heysermanns Nummer erfahren konnte, legte dann aber wieder auf. Natürlich würde Simon sich melden. Außerdem hatte sie den Eindruck, daß Emily auf dem Nebenapparat in der Küche ein Gespräch führte.
    Zumindest, dachte sie trocken, bekomme ich einen direkten Einblick in die Psychologie des Opfers. Sie begab sich in die Küche. Auch wenn Emily behauptete, nicht über ihr Erlebnis reden zu wollen, beschloß Leslie, in ihrer Nähe zu bleiben – für den Fall, daß ihre Schwester sie brauchte. Beim Frühstück hatten sie beide nichts heruntergebracht; vielleicht wäre es eine gute Idee, etwas Verlockendes zuzubereiten und es Emily hinzustellen. Leslie suchte braunen Zucker, Mehl und Butter und begann den Teig für den berühmten Gewürzkuchen ihrer Großmutter zu mischen. Emily saß am Küchentisch, das Kinn in die Hände gestützt. Sie hatte weder aufgeblickt, als Leslie eingetreten war, noch während sie Fett und Zucker schaumig rührte und Mehl siebte.
    »Ich habe das Telefon gar nicht klingeln gehört, Em. Hattest du eben beim Klavierverleih angerufen? Inzwischen müßte der Laden geöffnet sein, und vielleicht können sie sogar noch heute ein Instrument anliefern.«
    Von neuem brach Emily in Tränen aus.
    »Ich will meinen Flügel und kein verdammtes Mietklavier …«
    Leslie schob den Kuchen in den Ofen. Emily tat ihr leid, aber was sollte sie ihr sagen? Wie konnte sie auch nur so tun, als verstünde sie Emilys Gefühle? Für Leslie war der große alte Knabe-Flügel bloß ein Klavier wie alle anderen gewesen. Was sie jetzt auch gesagt hätte – es hätte sich angehört, als würde sie den Kummer ihrer Schwester nicht ernst nehmen.
    Die Hintertür öffnete sich, und Frodo trat ein.
    »Emily? Ich bin gekommen, so schnell ich konnte, Schatz. Mein armes Kleines«, rief er, trat zu ihrem Stuhl und kniete daneben nieder. »Deine Augen sind ja ganz rot. Hier, putz dir die Nase.« Er hob das Mädchen hoch und setzte sich dann mit Emily auf dem Schoß nieder. »Na, na, Kleines, nicht weinen. Auch wenn es schrecklich für dich gewesen sein muß.«
    Emily warf die Arme um Frodos Hals und begann von neuem zu schluchzen, während er sie wiegte und mit sanften Worten beruhigte, als wäre sie ein kleines Mädchen. Nie wäre Leslie auf den Gedanken gekommen, Frodo anzurufen; nun aber war sie froh, daß Emily es getan hatte. Leise verzog sie sich aus der Küche. Als sie nach einer Weile zurückkehrte, um ihren Kuchen aus dem Ofen zu nehmen, hatte Frodo eine Tasse Tee und Toast zubereitet und fütterte Emily wie ein Kind.
    »Komm, Kleines, du mußt was essen. Und dann fahre ich dich zum Klavierverleih und helfe dir, ein gutes Instrument auszusuchen. Von Klavieren verstehe ich etwas. Mein Onkel besitzt einen Laden. Er hat mich gelehrt, wie man ein gutes Instrument von einem schlechten unterscheiden kann. Ich passe schon auf, daß man dich nicht übers Ohr haut. Und wenn die Versicherung meint, dein Flügel sei nicht mehr zu reparieren, dann sorge ich dafür, daß du das Beste vom Besten bekommst. Ich werde nicht zulassen, daß man dir irgendeine alte Kiste andreht.«
    »Ach, Frodo, das alles war so schrecklich. Wie kann jemand uns nur so hassen? Grandmas Harfe, mein Flügel und Simons … Simons wunderschönes Cembalo.« Von neuem drohte sie die Fassung zu verlieren.
    »Zeig mir die Bescherung.« Die beiden gingen ins Musikzimmer. Die Bruchstücke lagen noch so am Boden, wie die Schwestern sie aufgefunden hatten, damit Simons Versicherungsvertreter sie in Augenschein nehmen konnte. Frodo stieß einen Pfiff aus. »Großer Gott, was für eine Schweinerei! Hör mal, Emily, ich weiß ein paar Leute oben in Guerneville, die sich mit Harfen sehr gut auskennen. Sie bauen die Instrumente selbst. Du solltest die Harfe dorthin bringen und nicht in irgendeine Werkstatt. Der Versicherung wäre das bestimmt recht, denn die Leute sind die besten Experten für Harfen in ganz Kalifornien. Wenn der Transport zu umständlich ist, leihe ich mir den Lieferwagen und fahre dich.«
    Endlich lächelte Emily, wenn auch zaghaft. »Kennst du eigentlich jeden, der sich in dieser Gegend mit Musik beschäftigt?«
    »So ungefähr. Nachdem ich selbst nicht mehr spielte, habe ich eine Zeitlang

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