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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Poltergeister sind für gewöhnlich harmlos. Das war etwas viel, viel Schlimmeres. Etwas … Dämonisches.«
    »Reden wir jetzt von Schwarzer Magie? Dem Satan? Dem Teufel?«
    »Ich glaube nicht an den Satan«, versicherte Claire, »und die einzigen Teufel, die ich kenne, entstammen der menschlichen Psyche. Diese Teufel kennen Sie als Psychologin ebensogut wie ich.«
    »Ich dachte, Schwarze Magie und der Teufel entstammten dem Satanskult. Finstere Mächte. ›Dämonisch‹, sagten Sie.«
    Claire seufzte. »Das alte Stereotyp. Der Teufel als Wesen mit Hörnern, Hufen und Bocksbeinen – eine mittelalterlich-christliche Version des Großen Gottes Pan, der harmlos war, sogar wohlwollend. Er stellte einen der Archetypen des Unbewußten dar, wie sie immer wieder im Kollektivbewußtsein der Menschen auftauchen. Aber die Kirchenväter des Mittelalters waren derart verklemmt und voller Sexualängste, daß sie diesen Archetypus mit dem Teufel identifizierten.«
    »Was hat denn Pan mit dem Teufel zu tun?«
    »Nun, der Mensch und der Ziegenbock sind die einzigen Lebewesen, deren sexuelle Aktivität nicht auf bestimmte Phasen beschränkt ist. Bei allen anderen Säugetieren tritt sie nur in der Brunftzeit zutage. Daher stellt der Bock seit jeher das archetypische Bild ungehemmter Sexualität dar. Und das hat den Kirchenvätern eine Höllenangst eingejagt. Menschen, deren wichtigstes Anliegen die Unterdrückung ihrer Triebe war, mußte Pan wie der Teufel erscheinen.«
    »Kollektives Unterbewußtsein … Archetypen … das klingt mir sehr nach C.G. Jung. Aber wenn Sie über Sexualität und Repression reden, hören Sie sich an wie Freud.«
    »Schuldig im Sinne der Anklage«, gab Claire lächelnd zurück. »Ich habe während meiner Ausbildung Freuds Theorien gut genug kennengelernt, um seine Sprache zu beherrschen. Und Sex und Repression existieren nun einmal, ob man Freud glaubt oder nicht – was ich nicht tue, auch wenn ich Begriffe benutze, die er geprägt hat. Als ich dann den Pfad zu studieren begann, entdeckte ich die jungianische Psychologie und Jungs Theorie der Archetypen, die mir einsichtig erschien. Aber ich fürchte, was immer hier eingedrungen ist und die Instrumente zerschlagen hat, war weit komplexerer Natur als der gute alte Bock, der für die sexuelle Freiheit steht. Ich glaube, was hier vor sich geht, hat nicht das Geringste mit Sex zu tun. Das sollte Sie zumindest davon überzeugen, daß ich keine Anhängerin Freuds bin – ein Freudianer würde behaupten, alles liefe auf Sex hinaus.«
    »Aber was könnte es dann sein, Claire?«
    »Ich wünschte bei Gott, ich wüßte es, Leslie. Falls das hier überhaupt ein Mensch angerichtet hat, muß er vor Schmerz oder Wut völlig außer sich gewesen sein. Jemand, der sich einem der schrecklichen Ungeheuer des Es ergeben hat – der verdrängte Teil des Bewußtseins, jener Teil, der nur reine, vernunftlose Emotion kennt. Der Teil des Gehirns, der tief unter dem rationalen Denken begraben ist und nur instinktmäßig reagiert. Und das finde ich graueneinflößender als jede klassische Satansgestalt aus einem mittelalterlichen Grimorium!«
    Die ältere Frau blieb noch einen Moment neben den Bruchstücken des Cembalos stehen. »Alison?« wisperte sie und drehte sich hin und her, als lausche sie auf etwas. In dem geschlossenen Raum erhob sich ein Windhauch, ein Seufzer aus dem Nichts, der Nachhall eines Lautes, und war gleich darauf wieder verschwunden. Leslie spürte, wie sich die Haare auf ihren Armen aufstellten.
    »Alison ist nicht glücklich über das, was hier vorgefallen ist«, flüsterte Claire.
    Medien, dachte Leslie ungehalten. Warum hatten sie nie etwas außer dem Offensichtlichsten zu berichten? »›Es braucht kein Geist vom Grabe herzukommen, uns das zu sagen‹«, zitierte sie trocken aus der berühmtesten Geistergeschichte der Welt.
    Claire schmunzelte. »Shakespeare wußte Bescheid, nicht wahr? Colin ist sicher, daß der große Schriftsteller auch ein Okkultist war. An einer anderen Stelle hat er geschrieben: ›Ich kann vom wüsten Abgrund Geister rufen.‹ Und jemand antwortete darauf: ›Das kann ich auch, und das kann jedermann. Doch kommen sie auch her, wenn Ihr sie ruft?‹«
    Das scherzhafte Wortgeplänkel hatte Claire offensichtlich aufgemuntert, doch dann schien sie wieder etwas zu hören, und ein düsterer Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Nun gut, ich sage es ihm. Wenn ich eine Möglichkeit dazu finde«, erklärte sie laut.
    Sie warf Leslie einen

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