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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Räucherwerk für Opferhandlungen? Ist Chrissy hier gewesen?
    Leslie bewegte sich langsam durchs Wohnzimmer. Die weißen Polster … auf diesem Sofa hatte sie Chrissy in ihrer Vision liegen sehen …
    Sie sah kleine Stücke getrockneten Schlamms, wie sie unter den Schuhsohlen eines achtlosen oder unverständigen Kindes kleben mochten. Schmutz, den Simon längst entfernt hätte, wäre er älter als drei Tage gewesen. Nein, das war kein Beweis, noch nicht. Auch nicht der ungeöffnete, in Goldfolie verpackte Schokoladenriegel. Leslie ballte die Fäuste und begann unwillkürlich zu beten. Mach, daß Simon einen Fehler begangen hat und daß ich den Beweis finde, daß Chrissy hier ist … oder daß ich Simon unrecht tue, daß er unschuldig ist …
    Ein blasses Rot zog Leslies Blick auf sich. Ein ausgewaschenes, abgetragenes rotes Kleidungsstück, das mit Sicherheit nicht Simon gehörte. Langsam bückte Leslie sich und hob es auf. Die alte, verschlissene Jacke eines Kindes. Leslie drehte sie in den Händen, fühlte den weichen Cordstoff. Die Ellbogen waren geflickt.
    Gib acht, worum du betest! Gott könnte es dir gewähren! Hier war er, der Beweis. Ein mit krakeligen Buchstaben beschriftetes Schild: ›Christina Hamilton‹. Leslie hörte sich aufschreien und verzweifelt stöhnen. Christina war hier gewesen.
    Du hättest Simon überreden, hättest ihn anflehen können. Tu es nicht, Simon, du vernichtest dich selbst, wenn du mich liebst, Simon …
    Jetzt war es zu spät. Was konnte sie tun? Nach Hause in ihr Spukhaus fahren, wo Alison vergeblich versucht hatte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und ihr zu zeigen, daß die Liebe zu Simon sie blind gemacht hatte? Schicksalsergeben auf die grauenhafte Nachricht warten, das Entsetzen, den Skandal? Versuchen, Simon in dieser riesigen Stadt zu finden? Würde er Chrissy in seinen Tempel bringen, an den Ort, zu dem Leslie ihm voller fehlgeleitetem Vertrauen den Schlüssel gegeben hatte? Wenn er Emily in diese Sache hineinzieht, bringe ich ihn um, dachte Leslie, verdrängte den Gedanken dann aber, denn jetzt kam es allein darauf an, Simon davon abzuhalten, sich selbst zu vernichten; alles andere zählte nicht, bis auf …
    … Emily. Simon hatte das Mädchen einer Gehirnwäsche unterzogen, hatte sie hypnotisiert. Plötzlich hatte Leslie den Eindruck, Alisons Präsenz zu spüren, ihre geisterhafte Stimme raunen zu hören: Ohne ihr Einverständnis kann er Emily nicht vernichten. Schaudernd dachte Leslie an die Bemerkung ihrer Schwester, Kinder wie Chrissy hätten kein Recht zu leben. Hatte Emily sich damit nicht schon selbst verurteilt?

Ich kann nur über mich seihst ein Urteil sprechen, über niemanden sonst. Als ich Simons Tat akzeptierte, habe ich mich auf eine Stufe mit ihm gestellt. Nun kann ich nur noch versuchen, Wiedergutmachung zu leisten.
    Leslie ging zum Telefon. Jetzt, da sie den Beweis hatte – Christinas Jacke, Simons Äußerungen –, blieb ihr nur noch eines. Sie mußte die Polizei anrufen und nach Joe Schafardi oder Patricia Ballantine fragen. Die beiden wußten von ihrer hellseherischen Gabe, würden sie nicht für verrückt erklären, sondern ihr zuhören und nach Simon suchen. Besser, sie fanden Christina unversehrt bei ihm vor und nahmen ihn fest. Dann mußte er höchstens mit einer Anzeige wegen Entführung oder Kindesmißhandlung rechnen. Wenn dem Mädchen nichts geschehen war, konnte er sogar behaupten, er habe Chrissy auf der Straße entdeckt, allein und völlig verwirrt, und sie mit zu sich genommen, um ihre Mutter zu verständigen. Das alles war besser, tausendmal besser, als wenn man Christina tot auffand. Dann wäre ihrer aller Leben zerstört.
    Leslie wählte die Nummer der Polizeizentrale. Es läutete zweimal, dreimal.
    »Buchhandlung für Okkultismus und Esoterik«, meldete sich am anderen Ende eine klare, vertraute Stimme.
    Es gibt kein Verwählen. Eine falsche Nummer zu wählen ist immer ein Hilfeschrei.
    »Claire«, stieß sie hervor. »Ich bin’s, Leslie. Kann ich mit Colin sprechen?«
    »Der ist heute nicht da«, antwortete Claire. »Was ist los? Stimmt etwas nicht? Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    Nein, ließ die Stimme in ihrem Inneren, die sie leitete, sich laut und deutlich vernehmen. Du mußt dich direkt an den Menschen wenden, dem du das größte Vertrauen schenken kannst. Colin ist ein Adept. Claire, so freundlich sie auch sein mag, ist noch Novizin. Selbst wenn du ihr alles erzählst, könnte sie dich nur an Colin

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