Die Hüter der Schatten
Handschuh wieder angelegt und hielt den Telefonhörer in der Hand.
»Ich habe mir erlaubt, Ihren Apparat zu benutzen, um einen Tisch zu reservieren. Emily hat nicht einmal aufgeblickt, als ich zu ihr ins Zimmer ging, um mir Jacke und Handschuh zu holen. Sie spielt Bach, als hätte sie ihn selbst erfunden.« Er führte Leslie zur Tür.
»Ich habe den Tisch für sechs Uhr reserviert. Das ist zwar ziemlich früh für ein Abendessen, aber ich muß schon um halb acht im Opernhaus sein. Ich hoffe, Sie mögen das Mark Hopkins.«
»Ich bin noch nie dort gewesen«, bekannte Leslie. Sie wußte nur, daß das exklusive Hotel unglaublich teuer war.
»Dann wird es mir ein Vergnügen sein, Ihnen das ›Top of the Mark‹ zu zeigen, einen der schönsten Plätze in dieser herrlichen Stadt.« Simon sprach von der Cocktailbar auf dem Dach des Mark Hopkins Intercontinental, das allgemein als ›The Mark‹ bekannt war. Er bot ihr seinen Arm.
Vor der Tür stand sein Mercedes. Leslie fühlte sich wie eine Prinzessin, als er ihr beim Einsteigen half. Er muß wirklich steinreich sein, dachte sie und erinnerte sich, daß er von seinen Filmrollen gesprochen hatte. Aber er lebte nicht nur in dieser Glitzerwelt; sie hatte gesehen, wie er in Hemdsärmeln in ihrer Küche Gurken schnitt oder auf dem Boden kniete und ein Cembalo stimmte. Er war ein Mann, der seine Welt kannte und hart arbeiten konnte, wenn nötig mit bloßen Händen. Der Gedanke erinnerte sie an Simons Handschuh. Sie warf einen Blick darauf. Jetzt wußte sie, was das schwarze Leder verbarg. Und später, als sie lachend im Aussichtsraum des ›Top of the Mark‹ saßen und auf die Lichter der Stadt hinunterblickten, bemerkte sie, daß Simon irgend etwas in seiner Jackentasche zusammendrückte und offensichtlich glaubte, Leslie hätte nichts gesehen. Ein Massageball vielleicht? Eine Therapie für die verletzte Hand? Leslie bewunderte Simons Entschlossenheit.
Später, bei der Orchesterprobe, suchte Simon einen Platz für Leslie. Dann schien er sie mit einem Mal vergessen zu haben.
Sie beobachtete, wie er mit der Spitze seines schmalen Taktstocks die Klänge aus der Vielzahl der Instrumente gleichsam hervorlockte. Immer wieder unterbrach er die Musiker mit seiner stahlharten Stimme.
»Halt, halt, so war es noch nicht richtig. Wenn die Geigen bitte ein wenig präziser spielen könnten? Das klingt mir zu breiig. Mr. Andrews. Noch einmal bitte, von dem Viola-Solo an …«
Je später der Abend, desto schärfer wurde Simons Tonfall, obwohl er niemals seine untadelige Höflichkeit vergaß. Doch soviel er von seinen Musikern erwartete – sich selbst verlangte er noch weit mehr ab. Als er ihnen schließlich dankte und sie verabschiedete, hatte er sein Jackett durchgeschwitzt, und sein Haar war triefnaß. Selbst der schwarze Handschuh war durchweicht. Während das Orchester nach draußen strömte und ein, zwei Musiker kurz stehenblieben, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln – Simon war jetzt die Freundlichkeit in Person, strahlte und schüttelte allen die Hände –, hob er den Blick und schaute Leslie in die Augen. Nur Geduld, wir gehen gleich, sagte dieser Blick, und merkwürdigerweise spürte Leslie, daß ihr Puls sich beschleunigte.
Schließlich trat er lächelnd auf sie zu und seufzte erleichtert.
»Sie müssen zu Tode erschöpft sein, Simon.«
»Nein, im Gegenteil, ich schwebe wie auf Wolken«, erwiderte er. »Wenn Sie möchten, können wir etwas trinken gehen. Aber wie Sie sehen, muß ich zuerst kurz in meine Wohnung, um zu duschen.« Er schaute sie an. »Wollen Sie nicht mitkommen und auf mich warten? Sie trinken ein gutes Glas Wein, während ich mir den Probenschweiß abspüle. Und anschließend … wer weiß?« Er schaute ihr in die Augen, und Leslie wußte plötzlich, worum er sie bat. »Aber wenn es Ihnen lieber ist«, fügte er ruhig hinzu, »können wir irgendwo einen Irish Coffee trinken, und dann bringe ich Sie nach Hause und verabschiede Sie mit einem keuschen Gutenachtkuß.«
Leslie wußte, daß dieselbe Woge der Hochstimmung, die Simon ergriffen hatte, auch sie davontrug. Doch es war ihr gleich. »Ich komme mit«, antwortete sie strahlend.
Sein Auge schien von innen heraus aufzuleuchten, und als sie nach draußen eilten, um seinen Wagen zu holen, lag seine Hand fest und fordernd auf ihrem Arm. Es hatte zu nieseln begonnen. Obwohl Leslie protestierte, zog Simon sein Jackett aus und legte es ihr über, während sie die Van Ness Avenue überquerten und zum
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