Die Hüter der Schatten
zurechtlegte. »Ich mache uns einen Salat.«
»Ich esse Gurken für gewöhnlich mit der Schale«, konterte Simon. Er zog sein maßgeschneidertes Jackett aus, hängte es über einen Stuhl und krempelte die Ärmel hoch. »Aber dafür werde ich versuchen, sie papierdünn zu schneiden. In Ordnung?«
Die Türklingel unterbrach das Gespräch. Leslie öffnete und ließ ihren Patienten Leonard Hay ein.
»Komme ich zu spät? Ich mußte ein paar Straßen weiter parken. In Ihrer Einfahrt steht ein Wagen …«
»Meine jüngere Schwester hat einen Gast«, erklärte Leslie. »Gehen Sie schon vor, Leonard. Ich bin gleich bei Ihnen. Sie sind sogar acht Minuten zu früh dran.« Sie führte ihn ins Büro.
»Ein Mercedes«, brummte der junge Mann verdrossen. »Ihre Schwester hat ja noble Freunde.«
»Einer ihrer Lehrer vom Konservatorium«, sagte Leslie. »Setzen Sie sich, und machen Sie es sich bequem. Auf dem Tisch liegen ein paar Zeitschriften.«
Sie kehrte in die Küche zurück. Leonard kam häufig zu früh oder versuchte, ein paar Minuten länger zu bleiben. Auf unterschwellige Weise buhlte er um mehr Beachtung, und Leslie versuchte ihm ihrerseits klarzumachen, daß sie sich nicht manipulieren ließ.
Simon saß in Hemdsärmeln auf der Küchenanrichte und arrangierte dünne Gurkenscheiben um einen Mittelpunkt aus sorgfältig geschnittenen Radieschen-Rosen. »Irgendwann einmal«, verkündete er, »muß ich für Sie eines meiner berühmten Käse-Souffles zubereiten.«
»Ich krieg’ sie nicht hin«, gestand Emily lachend. »Sie fallen mir immer zusammen – pfff! Dafür kann ich eine gute Quiche backen. Oder haben Sie auch dieses dumme Buch gelesen, in dem es heißt, daß richtige Männer keine Quiche essen?«
Simon schmunzelte. »Ganz im Gegenteil. Wenn sie gut zubereitet ist, mag ich Quiche außerordentlich gern. Sollte deswegen jemand an meiner Männlichkeit zweifeln, so kann ich mit Sicherheit Referenzen dafür beibringen, obwohl ich das bis jetzt nie für nötig gehalten habe.«
Draußen im Garten glitt die weiße Katze lautlos unter den Rizinusbüschen an der rückwärtigen Mauer dahin. »Sagen Sie, Simon«, fragte Leslie, »hat Miss Margrave eine weiße Katze besessen?«
Simon folgte ihrem Blick, und Leslie sah, wie die Sehnen an seinem Hals sich über dem geöffneten Kragen wie Stahlseile spannten, doch seine Antwort klang beiläufig. »Alison hatte immer eine weiße Katze. Das Tier, das sie in ihrem letzten Lebensjahr besaß, war das letzte in einer ganzen Reihe von Vorgängern.«
Er hat sie auch gesehen, dachte Leslie. Und er ist sich vollkommen bewußt, daß es keine gewöhnliche lebendige Katze ist. Eine normale Reaktion wäre vielleicht gewesen: Was macht denn diese Katze hier im Garten? Ach, da ist sie ja! Oder: Stimmt, aber das kann unmöglich dasselbe Tier sein. Aber konnte man von einem Mann wie Simon erwarten, daß er sich an die üblichen Spielregeln hielt? Mit seiner behandschuhten Hand nahm er Gurkenscheiben aus einer Schale. Plötzlich rutschten seine Finger ab, und die Schüssel fiel zur Seite.
»Elendes Miststück!« brüllte Simon, und die Metallschale flog in einem Hagel von Gurkenscheiben von der Arbeitsplatte, schlitterte halb durch die Küche und blieb auf dem Boden liegen. Simon ging dorthin – um die Schale aufzuheben, wie Leslie glaubte. Doch er versetzte ihr einen wütenden Tritt, daß es laut klirrte. Leslie stieß einen leisen Schrei aus: Simons Gesicht war wutverzerrt. Doch von einer Sekunde zur anderen normalisierte seine Miene sich wieder. Leslie hörte, wie er den Atem ausstieß, als er sich bückte, um die Schüssel aufzuheben. Seine Stimme klang wieder neutral und gleichmütig.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich habe nur über meine Ungeschicklichkeit geflucht. Manchmal habe ich plötzlich keine Kraft mehr in der Hand. Zum Glück geschieht das nicht, wenn ich spiele, jedenfalls nicht häufig.« Mit bleichem Gesicht stand er da und öffnete und schloß die behandschuhten Finger. »Habe ich jetzt Ihren Salat ruiniert, Emily?«
Das junge Mädchen schüttelte den Kopf. »Ach was. Spülen Sie die Gurken einfach unter kaltem Wasser ab. Der Fußboden ist sauber. Ich habe ihn erst heute morgen gründlich geschrubbt.«
Simon ging mit dem Gemüse zum Spülbecken, und Leslie fragte sich, ob sie sich diesen Augenblick furchteinflößenden Zorns nur eingebildet hatte.
»Ich sehe euch nach meiner Stunde mit Leonard. Laßt mir noch etwas Salat übrig«, sagte sie und ging in ihr
Weitere Kostenlose Bücher