Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
Parkhaus rannten.
    Aber als er sich nach vorn beugte, um ihr die Beifahrertür aufzuschließen, hielt er plötzlich inne und krümmte sich. Sie sah, daß ein Zucken sein Gesicht überlief, und wieder standen die Sehnen an seinem Hals hervor wie knotige Stricke. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.
    »Simon …?«
    »Schon gut. Achten Sie gar nicht darauf. Gleich bin ich wieder in Ordnung«, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Mit der verkrampften, in dem schwarzen Handschuh steckenden Hand warf er ihr die Wagenschlüssel zu. »Würden Sie fahren, Leslie?« Sie hörte, wie er den Atem ausstieß. Sie nahm die Schlüssel, schloß den Wagen auf und setzte sich hinters Lenkrad.
    »Sagen Sie mir, wohin es geht.«
     
    Simon besaß eine Fünfzimmerwohnung in einem der Wohntürme in Twin Peaks. Noch ehe sie dort eintrafen, war sein Krampf abgeklungen, und er gab sich heiter wie zuvor. Er warf dem Garagenwächter die Schlüssel zu, damit der Mann den Wagen parkte. Dann führte er Leslie zum Aufzug, den er nicht mit einem Schlüssel, sondern mit einer schmalen Chipkarte bediente.
    Das größte Zimmer seiner Wohnung war sparsam, aber elegant in Schwarz und Weiß ausgestattet. Ein gewaltiger Flügel stand darin, ein Cembalo – etwas größer als das Instrument, das er Emily geliehen hatte – sowie ein gläserner Couchtisch. Durch einen Türbogen erblickte Leslie eine blitzende moderne Küche aus Chrom, Stahl und Acryl. Simon brachte ihr den Wein in einem schwedischen Kristallglas.
    »Ich gehe unter die Dusche. Bin gleich wieder da.« Einen Moment zögerte er; dann beugte er sich herab und hob Leslies Gesicht dem seinen entgegen. Sein Kuß schien eine fiebrige Hitze auszustrahlen. Einen Augenblick später löste er sich von ihr.
    »Nicht jetzt«, sagte er. »Später.«
    Leslie nippte an dem Wein, der mild und rund schmeckte. Sie wußte, daß sie noch nie etwas Derartiges gekostet hatte.
    Dann hörte sie die Dusche rauschen und erkannte, daß Simon die Türen mit Absicht offengelassen hatte, damit sie ihn hörte und sich seinen nackten Körper vorstellte, wie er muskelhart, schlank und männlich inmitten von heißem Wasser und Dampf stand. Sie wußte es mit derselben Gewißheit, mit der sie gesehen hatte, wo Chloe Demarest ihren toten Sohn finden würde. Sie kostete das Bild genüßlich aus. Warum auch nicht? Sie war schließlich eine erwachsene Frau und aus freiem Willen und in dem Wissen hergekommen, daß sie Simon begehrte.
    Sie trat ans Fenster und betrachtete die Lichter der Stadt, die vierzehn Stockwerke unter ihr lagen. Was für ein Gegensatz zu ihrem eigenen Haus, das die Anmut der Vergangenheit vertrat, während Simons Wohnung die Speerspitze der Zukunft repräsentierte. Und beides existierte in vollkommener Harmonie miteinander.
    Auf einem schweren Regal aus hellem Holz stand eine Reihe dicker Bücher. Leslie ging hinüber, um sie sich anzuschauen. Das große Buch der magischen Kunst. Ein weiterer Band mit dem Titel Magie und Wille. Sie zog die Brauen hoch. Noch einer der merkwürdigen Zufälle, die in letzter Zeit um sie herum geschahen? Worauf ließ sie sich da ein? An den Bucheinbänden haftete ein schwacher, bitterer Geruch, der ihr bekannt vorkam. Nach kurzem Nachdenken erkannte sie ihn als den Duft des Phantom-Weihrauchs, den sie auf ihrer Treppe wahrgenommen hatte. Das durchdringende, trocken-herbe Aroma stach ihr in die Nase.
    Sie entdeckte ein Buch, das auf Latein verfaßt und in einer Schrift gedruckt war, die sie nicht entziffern konnte. Doch zumindest ein vertrautes Symbol zierte den Deckel: ein eigenartiger, ineinander verschlungener fünfzackiger Stern gleich dem, den Claire aus dem Buchladen an einer Kette um den Hals getragen hatte.
    Das Rauschen des Wassers war verstummt. Mit nacktem Oberkörper kam Simon ins Wohnzimmer, trat zu Leslie und nahm das Glas, das sie auf den Tisch gestellt hatte. Er trank einen Schluck Wein, ging dann zu ihr und küßte sie. Sein Mund schmeckte so fruchtig wie der Wein.
    »Wie ich sehe, hast du dir meine Bücher angeschaut«, bemerkte er und löste sich von ihr. »Jetzt wirst du mich wahrscheinlich auch für einen Schwarzen Magier halten.«
    »Ich habe keine Ahnung, was du damit meinst, Simon.«
    Er lächelte grimmig. »Mit der Magie verhält es sich wie mit der Musik – beide stehen für die Kunst des ausgebildeten Willens. Genau wie deine Ausbildung als Psychologin. Das sind nur verschiedene Namen für denselben Sachverhalt, Leslie. Ich habe schon vor

Weitere Kostenlose Bücher