Die Hüter der Unterwelt - Die Seele der Schlange (German Edition)
allein die feinen, nebelgrauen Dünen. Der Wind verführte die Asche, Geistern gleich über dem Waldboden zu tanzen.
“Sie sind weg, kleine Sünde. Ohne den Raben sind sie nicht mehr, als du hier zu sehen vermagst. Asche, Staub und eine böse Erinnerung.”
Catharina stieß den angehaltenen Atem aus ihren Lungen und war mit zwei Sätzen an Nox Seite. Vor dem blutenden Rappen sank sie auf die Knie, legte die Stirn an seine Flanke. Lauschte dem pochenden Herzschlag, als würde dieses Geräusch auch sie zurück ins Leben bringen.
“Heile ihn.” Ihre betörende Stimme glich dem Flüstern der Nacht. “Bitte.”
Einen Wimpernschlag später kniete er neben ihr, strich mit sanften Händen über die tiefen Wunden des Hengstes, der seine Nähe angstvoll schnaubend bemerkte.
“Schsch …”, schnurrte die Sirene zärtlich. “Er wird dir nichts tun, mein kleiner Schatten.”
Unter Vipers zischendem Wispern beruhigten sich Nox gepeinigte Atemzüge, die verblassenden Krallenspuren ließen warme, glatte Haut zurück.
Der Schmerz wich aus den dunklen Augen.
Sein Mädchen erzitterte. Und Viper konnte fühlen, wie die Wirklichkeit zurück in ihre Seele fand. Sie hob die Hände, erblickte silberne Klauen, sah sie zum ersten Mal tatsächlich.
Mit einem erstickten Laut fuhr sie zusammen, ihre Eisaugen ruckten von dem versteinerten Raben zu den Blutspritzern und Federn, die das Unterholz schwarz sprenkelten. “Ich … ich bin …” Sie verstummte abrupt, beinahe verärgert. “Das ist noch nicht einmal meine Stimme … Warum fühlt es sich so richtig an?”
Catharina Blicke huschten zu ihrem Vater, der sich mit unterschlagenen Beinen niedergelassen hatte und vorsichtig ihren Ausbruch erwartete.
Hinter ihm rupfte sein Schimmel unerschütterlich schmale Grasbüschel.
Viper legte eine Hand unter ihr Kinn, beachtete das störrische Rucken ihrerseits nicht. “Es ist deine Stimme. Wenn du singst - selbstvergessen und versunken.”
Ruhelos wich sie vor ihm zurück und er ließ sie widerwillig gewähren. Im anderen Fall hätte ihm dieses wankelmütige Geschöpf wohl die Klauen durchs Gesicht gezogen.
Nur einen Herzschlag zu spät bemerkte er das Beben ihrer zum Zerreißen gespannten Muskeln. Stürmisches Meeresrauschen erfüllte die Stille, nachtblaue Funken umspielten ihre Gestalt im Einklang mit aufgewirbelter Erde und jungen Blättern.
Ein befreiter Schrei erklang süß hinter Vipers Schläfen und der feuergoldene Milan erhob sich in die Lüfte.
Der Vogel wand sich einem Pfeil gleich durch das dichte Geflecht der Baumkronen. Sie entfaltete die Schwingen, eroberte den Himmel, anmutig wie eine Tänzerin und wild wie eine Kriegerin.
Innerlich fluchend tastete Viper nach seiner Wolfsgestalt. In diesem Körper glichen ihre Gedanken dem reißenden Fluss, ungreifbar und wendig. Er wusste nicht, wohin ihr Herz sie zog. Doch sie brauchte ihn.
Als die dominante Aura des Wolfes bereits seine Seele berührte, riss ihn Michaels Stimme zurück. “Verdammt, warte!”
Er wirbelte unbeherrscht zu dem Sterblichen herum, die Brauen in einer wortlosen Frage gehoben.
Catharinas Vater knöpfte sein hellbraunes Hemd auf, während er ihm entgegenlief. Sein dunkles Haar fiel ihm zerzaust ins Gesicht, doch außer einem dünnen Kratzer an der Schläfe schien er unverletzt.
Seine meergrünen Augen glühten vor Sorge und nur langsam erkaltenden Kampfesflammen.
Mühelos streifte er sich das Hemd von den Schultern und warf es Viper zu.
“Für sie. Wehe dir, du schaust länger hin als nötig!”, knurrte er düster.
Erst jetzt wanderte Vipers Blick zu ihrer Bluse, die wie ein zerfetztes, jadegrünes Banner zwischen den Wurzeln ruhte.
Woher hätte sie auch lernen sollen, dass man im Herzschlag der Verwandlung die Wirklichkeit täuschen und seine Kleidung zur zweiten Haut machen konnte?
Lächelnd steckte er das Hemd unter seinen Gürtel.
Ein tiefes Atemholen an seiner Seite ließ ihn Michaels Blick wachsam erwidern. Unglaublich zögerlich, als fürchte er, sich zu verbrennen, hob Catharinas Vater die Hand und legte sie auf seine Schulter.
“Sprich mit ihr. Ich weiß, dass sie nun deine Stimme hören will, auch wenn sie eine denkwürdige Art hat, dies zu zeigen. Wache über meine Tochter, wo immer sie sein mag … Ich folge euch.”
Ohne ein weiteres Wort wandte der Jäger sich ab und schritt an die Flanke seines weißen Hengstes.
Noch für einen Moment ruhten Vipers Augen auf diesem merkwürdigen Mann, der nur im Kampfe
Weitere Kostenlose Bücher