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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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Art, wie das Licht auf seinem borstigen, goldgelben Haar reflektierte. Der Haarige hob sein Messer
und fing an zu sprechen, doch Sebbi schnitt ihm das Wort ab und rief: »Ich komme als williges Opfer, um dem hiesigen Volk zu helfen. Ich überbringe den Göttern eure Botschaft: Errettet uns! Zügelt die Eisriesen und lasst uns in Frieden und Überfluss leben!«
    Die Menge brach in Begeisterungsstürme aus. Die Männer schwangen ihre Speere hoch in der Luft, die Frauen riefen wehklagende Rufe aus, so wie das Ziegenmädchen die Ziegen gerufen hatte.
    Der Haarige wies auf den Horizont, wo die Sonne gerade aufging. »Sei bereit!«, rief er.
    Als sich das erste goldene Licht über die Berge ergoss, stieß er Sebbi in den Rücken. »Bring unsere Sünden, unsere Mängel, unsere Reue zu den Göttern und bitte sie, unser Flehen zu erhören!«, sagte er. »Lauf!«
    Sebbi rannte los. Im nächsten Moment erhoben die Männer ihre Stimmen zu einem feierlichen Gesang, während die Frauen einen aus nur zwei Noten bestehenden Singsang anstimmten.
    »Blut säubert, Blut bindet, Blut reinigt, Blut verbindet, Blut wäscht, Blut zieht an …«, sangen sie. Die Götter versammelten sich, ihr Druck verstärkte sich und erfüllte sowohl Baluch als auch Bramble mit heiligem Schrecken. Die Aufmerksamkeit der Götter war stärker, als Bramble es jemals erlebt hatte.
    Dann erkannte sie, dass die Männer Ziffern sangen. Sie zählten. Zählten, wie Bramble es so oft getan hatte vor einem Jagdrennen. Aber jetzt war Sommer, nicht Herbst. Nach der Sommersonnenwende , beschieden ihr die Götter, abwesend, nur mit einem Teil ihrer Aufmerksamkeit. Nach der Sommersonnenwende kann das Opfer jederzeit gebracht werden .
    Das herbstliche Jagdrennen, dachte Bramble entsetzt. Dies ist der Ursprung des Herbstrennens. Sie rechnete damit,
dass sie bis fünfzig zählen würden, doch bei neunundvierzig sprangen die Männer los, angeführt von dem Haarigen, und die Götter begleiteten sie und ließen sie und Baluch verblüfft zurück.
    Die Frauen folgten den Männern, und auch die Kinder liefen neben ihnen her.
    Acton wandte sich Baluch zu. »Lass uns gehen.«
    »Wir können doch nicht einfach verschwinden!«
    »Wir müssen.«
    »Aber …«
    Acton zerrte ihn mit sich. »Er wird sterben. Möchtest du wirklich dabei zusehen?«
    »Ja!«, rief Baluch. »Ich habe ihm eine Lobeshymne versprochen. Ich muss zusehen!«
    Er entzog Acton seinen Arm und rannte, so schnell er konnte, der Menge hinterher. Er war wesentlich schneller als die Frauen mit ihren langen Röcken, und er überholte sie mühelos, obwohl er vom langen Sitzen im Dunkeln Krämpfe in den Beinen bekam.
    Die Männer liefen mit federnden Schritten hinter Sebbi her. Bramble sah, wie er eine Anhöhe in der Nähe erklomm. Er rannte ruhig, und die Haut seiner nackten Beine glänzte in der frühmorgendlichen Sonne ganz weiß. Die Männer beschleunigten ihre Schritte, und Sebbi beschrieb eine Kurve und floh nun in Richtung des Eiskönigs. Bramble ahnte, was er vorhatte; wenn er schon sterben musste, um den Eiskönig zu verbannen, dann war der beste Ort, um sein Blut zu vergießen, auf dem Eis selbst. Die Männer waren der gleichen Überzeugung. Sie stießen ein zustimmendes Geheul aus und erhöhten ihre Geschwindigkeit. Baluch zwang sich ebenfalls, schneller zu laufen. Er kürzte über das Weideland ab, sodass sein Weg den ihren in der Nähe des Eises kreuzen würde.
    Das Eis hatte Geröllblöcke, Erde und Bruchgestein vor
sich hergeschoben. Eingestürzte Häuser. Kostbare Hölzer. Als Sebbi auf etwas Spitzes trat, geriet er ins Straucheln. Er richtete sich jedoch wieder auf und rannte leicht hinkend weiter. Dabei hinterließ er eine deutlich sichtbare Blutspur. Die Jäger schrien triumphierend auf. Ein Blutrausch, die Erregung der Jagd bemächtigte sich ihrer. Bramble wurde übel. So hatte sie auch empfunden, als sie der Jagdbeute hinterhergeprescht war. Dies war das Ritual des Jagdrennens, ihre größte Freude - ihre Rettung. Ihr wurde klar, dass sie bei dem Frühlingsrennen wahrhaftig wiedergeboren worden war, weil irgendwo, irgendwann, vielleicht vor tausend Jahren, ein Mann im Herbst gestorben war. Ein Leben geopfert, ein Leben zurückgegeben, so lautete der Handel. Vielleicht war es sogar Sebbis Leben gewesen, das ihr zurückgegeben worden war.
    Er war nun in die Enge getrieben worden und stand unerschrocken vor der Eisklippe. Er befand sich in Reichweite der Speere, und die Männer stießen erneut Triumphgeheul

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