Die Hueterin der Geheimnisse
in Foreverfroze.« Er wandte sich direkt an den jüngeren Bruder. »Es ist ja wunderschön da oben. Warst du schon mal dort?«
»Nein, ich wollte immer, aber …«
Sein Bruder schnitt ihm das Wort ab. »Es ist der, der den Gefolgsmann des Kriegsherrn getötet hat.«
Plötzlich waren alle still und starrten Ash an. Außer Flax.
»Ach, seid doch nicht albern. Warum sollte er so etwas tun? Und wann denn überhaupt? Er musste mich doch begleiten.« Sein Verhalten war perfekt, und die Männer entspannten sich. Ash war beeindruckt, wie gut Flax lügen konnte. Er musste Übung darin haben. Er fragte sich, wie viel von dem, was Flax Zel erzählte, wirklich der Wahrheit entsprach.
»Runter von unserem Land«, sagte der älteste Bruder.
Flax und Ash nickten gleichzeitig und lenkten ihre Pferde Richtung Flussebene.
»Del, begleite sie und überzeuge dich davon, dass sie gehen«, sagte der zweite Bruder. In seiner Stimme schwang Belustigung mit.
»Gute Idee!«, sagte der Jüngste und wartete nicht auf die Zustimmung durch den Ältesten. Er stieß die Hacken in die Flanken des Pferdes, um es anzutreiben, und führte die beiden mit der Sicherheit von jemandem, der dies schon sein ganzes Leben lang tat, einen steilen, mit Steinen überzogenen Pfad hinunter. Flax folgte ihm mit genauso großartigem Gehabe. Als Letzter folgte Ash mit wesentlich größerer Vorsicht. Nun hatte er noch einen Grund mehr, sich über Flax zu ärgern. Für Jungen, die schon ritten, bevor sie gehen konnten, mochte das hier ja in Ordnung sein, aber …
Del drehte sich ständig im Sattel um, um Flax liebäugelnde Blicke zuzuwerfen. Dieser erwiderte sein Lächeln jedes Mal. Ash war sich nicht sicher, ob er schauspielerte oder nicht. Vermutlich nicht, dachte er und geriet ins Grübeln. Männer, die miteinander bumsten, waren unter Wanderern verpönt; es war auch ein Unterschied zwischen ihnen und Actons Volk. »Wir stehen alle dem Blut gegenüber in der Pflicht«, wurde den Jungen bei ihrem ersten Besuch in der Tiefe mitgeteilt. »Das Blut muss überleben.« Und ihnen wurde auch gesagt: nicht mehr als zwei Kinder, die getragen werden mussten. Kinder mussten in Abständen so geboren werden, dass die Eltern, wenn nötig, jeweils eins auf den Arm nehmen und weglaufen konnten. Es oblag der Verantwortung des Mannes, sich des Geschlechtsverkehrs zu enthalten, sodass es nie mehr als jeweils zwei kleine Kinder gab. Viele Wandererfamilien hatten erwachsene Kinder und zeugten dann erneut Kinder. Diese waren dann so jung, dass sie Kinder ihrer Geschwister hätten sein können.
»Oh, bei uns zuhause ist kein Platz. Meine Alten wohnen alle bei uns und dann noch der Nachwuchs meines Bruders,
und ich habe auch noch vier Schwestern, und die sind alle noch nicht verheiratet«, hörte er Del mit gespielter Entrüstung sagen.
Nach dem Generationengesetz war es den Wanderern auch untersagt, in Gruppen mit mehr als zwei Generationen - Eltern und Kinder - unterwegs zu sein. Dies führte dazu, dass es keine großen glücklichen Familien voller dunkelhaariger Geschwister gab, die sich übereinander beschwerten, sich zankten, sich die Sachen des anderen borgten und einander bei Prügeleien beistanden. Ash fragte sich, wie es wohl sein mochte, so zu leben, inmitten so vieler Geschwister. Aber weder er noch eines seiner Kinder würde es wohl jemals herausfinden.
Sie gelangten an einen Felsgrat, von dem aus sie das fruchtbare Tal sehen konnten, mit hölzernen Gattern und Häusern, die wie Spielzeug aussahen.
»Das ist die Grenze unseres Lands«, sagte Del mit spürbarem Widerwillen. Er wies nach Süden. »Folge dem Pfad hier entlang, er bringt dich auf die Hauptstraße.« Er rückte mit seinem Pferd näher an Flax und Cam heran. »Und du kannst wirklich nicht bleiben?«, fragte er und ließ dabei seine Hand auf Flax’ Schulter sinken. Auch Flax wirkte ein wenig geknickt.
»Ich wünschte, ich könnte«, sagte er. »Doch wir müssen weiter.«
Sie stießen beide einen Seufzer aus. Einen Moment lang beneidete Ash sie um das schnell gewonnene Gemeinschaftsgefühl, das sie miteinander teilten, um eine leicht erworbene Freundschaft. Ihrer beider Ungezwungenheit begründete sich nicht nur darauf, dass sie sich voneinander angezogen fühlten; sie waren auch vom gleichen Menschenschlag, verwöhnt und verhätschelt und infolgedessen mit sonnigem Gemüt. Sie erwarteten immer nur das Beste von der Welt.
Ash hingegen hatte die Erfahrung gemacht, dass sich seine Wünsche nur selten, wenn
Weitere Kostenlose Bücher