Die Hueterin der Krone
aber allmählich die Wärme seiner Haut auf. Als er mit seinem Onkel und FitzCount in die große Halle zurückkehrte, wartete dort seine Mutter auf ihn. Sie wirkte jetzt gefasst und lächelte, wenn auch etwas gezwungen. Wieder kniete Henry vor ihr nieder, wie man es ihn gelehrt hatte.
»Es tut mir leid, dass ich eben geweint habe«, entschuldigte sie sich ein wenig atemlos. »Mir war nicht klar, wie nah mir das Wiedersehen mit dir gehen würde.« Sie half ihm auf und umarmte ihn, wohlweislich darauf bedacht, ihn nicht zu fest an sich zu drücken. »Wie du gewachsen bist!«
Er warf sich in die Brust. »Ich bin hier, um dir zu helfen, Mama. Jetzt bin ich an der Reihe.«
Ihre Lider brannten, aber ihr Lächeln wirkte entspannter. »Das ist richtig, und darüber bin ich froh, weil ich eine wichtige Aufgabe für dich habe.«
Henry schien noch ein Stück zu wachsen.
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Dein Onkel hat dir gesagt, dass du nach Bristol gehen und dort deine Studien fortsetzen sollst?«
Henry nickte.
»Doch erst kommst du zum Hof nach Devizes, wo alle dir als meinem Nachfolger den Lehnseid schwören und dich als Erben Englands anerkennen. Jeder soll begreifen, dass du die Zukunft bist, für die sie standhaft bleiben müssen. Du hast solch einen Eid schon zusammen mit deinem Vater in Anjou entgegengenommen. Diese Zeremonie wird ähnlich ablaufen, hat aber eine größere Bedeutung.«
Henrys Atemzüge beschleunigten sich. »Werde ich eine Krone tragen?«
Matildas Züge wurden weicher. Stolze Belustigung spiegelte sich darin. »Das wirst du allerdings. Wenn du über England herrschen willst, darf niemand Zweifel an deiner Bestimmung hegen, aber du musst nicht nur wie ein König aussehen, sondern auch so handeln.«
Henry hob den Kopf. »Das kann ich.«
Die Worte und der Ton klangen ernst und erwachsen und versetzten Matilda einen Stich. Sie hatte in so vieler Hinsicht versagt, und der Schmerz der Niederlage lauerte noch immer dicht unter der Oberfläche, aber damit wurde sie fertig. Dieses Kind war ein strahlendes Licht auf dem Weg in die Zukunft, auch wenn es noch viel zu lernen hatte und gefestigt werden musste. Der Kampf wurde nur umso härter, je mehr er in das Alter kam und imstande war, über das Königreich zu herrschen. Aber er würde über England herrschen, daran hegte sie keinen Zweifel, auch wenn ihre eigene Zeit ablief.
48
Arundel, März 1143
Adeliza kniete mit ihrem ältesten Sohn auf den Altarstufen der Kapelle von Arundel und überwachte seine Gebete. In zwei Monaten wurde er vier Jahre alt und machte ihr mit seinen Fragen, seinem wachen Verstand und seiner bloßen Existenz viel Freude. Sein Haar war ein Gewirr brauner Locken, und er hatte die haselnussbraunen Augen von Will. Er hatte seine Sammlung hölzerner Spielzeugfiguren und eine kleine Statue der Jungfrau Maria in einem blau bemalten Umhang auf den Altar gestellt. Daneben standen eine kleine Krippe mit dem Jesuskind und ein Esel.
»Du warst auch einmal ein Baby in einer Wiege«, sagte sie. »Genau wie dein Bruder Godfrey und der kleine Jesus.«
Wilkin rümpfte die Nase. »Aber Jesus wurde in einem Stall geboren«, widersprach er. »Ich nicht, nicht wahr, Mama?«
Adeliza verkniff sich ein Lächeln. »Nein, mein Liebling, du bist in einer Schlafkammer mit Hebammen und weichen Federkissen zur Welt gekommen. Aber Jesus hatte als Bett nur eine armselige Krippe. Du solltest Menschen nie nach dem beurteilen, was sie besitzen. Der ärmste Mann kann über die reichsten Gaben verfügen. Wenn du dich als Bittsteller an Jesus wendest, wird er dir helfen, dir Kraft geben und dich dein ganzes Leben lang beschützen, obwohl er in einer Krippe und du in einem Federbett geboren wurdest. Er ist der Sohn Gottes, und trotzdem hat er den Weg der Demut eingeschlagen.«
Wilkin nickte und nagte an seiner Unterlippe, wie er es immer tat, wenn er sich nicht ganz sicher war.
»Wenn ich Jesus bitte, dass Papa bald nach Hause kommt, wird er mir dann helfen?«, fragte er.
Adelizas Magen krampfte sich zusammen. Genau dafür hatte sie auch gebetet. Sie hatte seit einigen Wochen nichts von ihrem Mann gehört. Nach dem Weihnachtsfest an Stephens Hof war er in ziemlich gedrückter Stimmung nach Hause gekommen, hatte ihr von dem Zusammentreffen mit Matilda in Abingdon erzählt und gestanden, dass er sie unbehelligt hatte ziehen lassen, statt sie festzunehmen.
»Ich hätte dem Konflikt mit einem Schlag ein Ende machen können, aber ich habe es nicht
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