Die Hueterin der Krone
wahrscheinlich sein Wunschkandidat.«
Matilda kam sich vor, als hätte man ihr einen doppelten Schlag versetzt. Charles von Flandern war ein enger Verbündeter ihres Vaters und bei seinem Volk sehr beliebt. Es war furchtbar, dass er ermordet worden war – Teufelswerk, wie Adeliza sagte. Jeder, der einen in seine Gebete vertieften Mann tötete, würde unweigerlich in der Hölle schmoren. Aber dann noch zu erfahren, dass le Clito … Sie zwang sich, trotz ihres Schocks logisch zu denken.
»Was ist jetzt zu tun?«
Brian rieb sich das Kinn.
»Euer Vater schickt Euren Vetter Stephen dorthin, um zu verhandeln und andere Anwärter auf den Titel ins Spiel zu bringen. Selbst wenn le Clito gewählt wird, wird er sich nicht im Sattel halten können. Der Tod des Grafen hat in Flandern bereits Aufstände ausgelöst, und solche Unruhen ebben nicht von einer Minute zur anderen ab. Euer Vater hat befohlen, die flämischen Webereien nicht mehr mit englischer Wolle zu beliefern.«
Matilda nickte. Ein solcher Zug würde zu neuerlichen schweren Unruhen führen, denn ohne Arbeit verhungerten die Weber. Ihr Vater würde seine eigenen Kandidaten aus Englands prall gefüllten Schatztruhen unterstützen und ihre Rebellionen mit seinem Silber finanzieren, weil er nicht zulassen konnte, dass William le Clito zum Regenten von Flandern ernannt wurde. Sie hätte dieselbe politische Entscheidung getroffen.
Brian verbeugte sich und entschuldigte sich, er hatte noch andere Aufgaben zu erledigen. Adeliza und Matilda verließen den Palast und gingen zur Kathedrale, um dort für die Seele von Charles von Flandern zu beten. Als Matilda vor dem Altar niederkniete, konnte sie nicht umhin, daran zu denken, dass ein junger Mann bei der Verrichtung seiner Andacht ermordet worden war und ihr eigener gebeugter Nacken in einer ebenso verletzlichen Position von einem tödlichen Hieb getroffen werden könnte.
Brian saß im Privatgemach des Königs und streichelte die seidigen Ohren eines schlanken Jagdhundes. Robert of Gloucester war gleichfalls anwesend, er stand am Kamin und starrte in die warmen gelben Flammen eines prasselnden Feuers. Sie wussten nicht, warum Henry sie hierherbestellt hatte, aber Brian vermutete, dass es wegen des jungen Grafen von Flandern war. Denn nun sah sich der König mit einer Situation konfrontiert, in der sich ein Verbündeter in einen Feind verwandelt hatte.
Henry betrat die Kammer. Wie üblich sprühte er vor Energie. Sein Umhang bauschte sich um seine Schultern. Er trat zu Robert an den Kamin, rieb sich kräftig die Hände und winkte ab, als die beiden jungen Männer ihm ihre Reverenz erweisen wollten. Dann tätschelte er den Hund und nahm den Becher Wein entgegen, den Brian ihm reichte.
»Die Neugier steht so groß auf euren Gesichtern geschrie ben wie das Gekrakel eines unfähigen Schreibers«, stellte er mit leicht abfälliger Belustigung fest, ehe er einen großen Schluck trank.
»Überrascht dich das, Vater?«, gab Robert zurück. »Du hast uns wohl nicht herbestellt, um über das Wetter oder die Jagd zu sprechen.«
Henry grunzte.
»Ich wünschte, es wäre so.« Er ließ sich auf eine gepolsterte Bank sinken. »Sagen wir einmal, das Wetter hat sich geändert und die Art der Jagd. Ich wollte mit euch die Heirat meiner Tochter besprechen. Ich habe sie während der letzten Monate genau beobachtet und bin sehr zufrieden mit ihr. Wenn sie ein Mann wäre, wäre sie perfekt dazu geeignet, meine Nachfolge anzutreten, wenn ich nicht mehr bin.«
»Aber du hast uns alle schwören lassen, sie als deine Erbin anzuerkennen?« Roberts Feststellung klang eher wie eine Frage. »Demnach soll sie doch wohl eines Tages über England herrschen.«
Henry hob eine buschige silberne Braue.
»Ich habe euch in der Tat schwören lassen, aber wie viele Männer werden ihr Wort halten? Meine Vaterliebe macht mich nicht blind. Es sieht so aus, als würden die Königin und ich nicht mit männlichen Erben gesegnet. Matilda hat ihrem ersten Mann ein Kind geboren, daher weiß ich, dass sie fruchtbar ist, und ich hoffe, dass sie mit einem anderen Gefährten Söhne bekommt. Ich beabsichtige, meine Enkel dazu zu erziehen, in meine Fußstapfen zu treten. Sollte ich sterben, bevor sie erwachsen sind, wird ihre Mutter als Regentin fungieren, und dabei muss sie sich auf die Unterstützung ihrer Familie verlassen können. Robert, von dir erwarte ich, dass du deiner Schwester und ihren Kindern mit Rat und Tat zur Seite stehst, wenn es nötig sein sollte,
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