Die Hueterin der Krone
habe.«
»Vielleicht gibt es diese Frau nicht mehr«, erwiderte Matilda mit zusammengepressten Lippen. Sie blickte auf ihre beiden ineinander verschlungenen Hände hinab, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme versöhnlicher, aber nach wie vor eisern entschlossen. »Ich kann keinen Frieden mit ihm schließen. Ich weiß, wie gerne du das möchtest.«
»Deine seelischen Wunden müssen heilen, das verstehe ich«, beschwichtigte Adeliza, »und du brauchst Zeit. Es ist viel Unrecht geschehen, und viel muss in Ordnung gebracht werden.« Sie verlieh ihrer Stimme etwas mehr Nachdruck. »Dein Vater wird alles tun, was in seiner Macht steht, aber ich kann dir jetzt schon sagen, dass er dir nicht gestatten wird, diese Ehe zu annullieren.«
Matilda entzog Adeliza ihre Hand.
»Ich gehe nicht zu diesem … diesem eingebildeten Gockel zurück«, entgegnete sie tonlos.
»Wenn du ihn wie einen Mann behandeln würdest, benähme er sich vielleicht auch wie ein Mann.«
Matilda trat zum Fenster, kehrte Adeliza den Rücken zu und verschränkte die Arme.
»Du verstehst nicht. Du kannst dir nicht einmal ansatzweise vorstellen … mein Vater hat dich nie geschlagen oder dich in aller Öffentlichkeit vor den Augen seiner Barone begrapscht oder die Tür der Schlafkammer halb offen gelassen, während er sich mit dir vergnügt hat. Soll ich das alles klaglos hinnehmen?« Sie fuhr herum und deutete auf ihre verblassenden Blutergüsse. »Knicksen, lächeln und sagen: › Ihr hattet völlig Recht, mich zu schlagen, Mylord? ‹ Während meiner Ehe mit Heinrich wurde ich mit Ehrerbietung, Respekt und Anstand behandelt. Und schau mich jetzt an. Würdest du mit mir tauschen?«
Adeliza rieb sich die Schläfen.
»Offen gestanden, nein«, räumte sie müde ein. »Wir sollten heute Abend nicht mehr davon sprechen. Ich möchte mit dir über alltägliche Dinge reden, und ich möchte auf keinen Fall deine Freundschaft verlieren … bitte.« Sie blickte Matilda flehend an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Matildas Züge wurden weich.
»Nicht«, bat sie mit zitternder Stimme. »Sonst fange ich wieder an zu weinen, und wir ertrinken beide in Tränen.« Sie ging zu der Bank zurück und umarmte Adeliza. »Ich freue mich wirklich, dich zu sehen, und ich möchte auch von ganz alltäglichen Dingen reden – du ahnst gar nicht, wie sehr.«
»Ich habe dir etwas aus England mitgebracht«, sagte Adeliza, als sie sich aus der Umarmung löste. »Es gehört dir, und du kannst es bestimmt gebrauchen.« Wieder ging sie zu ihrem Gepäck und kehrte diesmal mit einer bemalten Lederschatulle zurück. Sie enthielt Matildas Krone aus Goldblumen und Saphiren. »Ich habe einen Boten nach Reading geschickt und sie holen lassen«, erklärte sie, als sie Matilda die Krone überreichte. »Der Mönche hatten sie in Verwahrung genommen, sie lag auf dem Altar, aber ich spürte … nein, ich wusste, dass ich sie dir bringen musste.«
Matilda schluckte hart.
»Danke«, flüsterte sie und wischte sich über die feuchten Augen. Diesmal flossen die Tränen rascher und brachten ihr mehr Erleichterung.
»Sie ist das Symbol für deine innere Stärke«, schloss Adeliza. »Und die kann dir niemand nehmen – niemals.«
Spät an einem Novembernachmittag schimmerte der rote Himmel kalt, und die Bäume hatten ihre Blätter verloren. Sie bildeten einen goldenen Teppich unter den Hufen ihrer Pferde, als Matilda und Adeliza die Waldwege in der Nähe von Henrys Herrenhaus bei Le Petit-Quevilly am Stadtrand von Rouen entlangritten.
Matilda sog die eisige Luft tief in ihre Lungen. Sie fühlte sich erfrischt und lebendig. Dank der Ruhe und der Ablenkung in Rouen waren ihre Verletzungen verheilt, und sie hatte begonnen, sich wieder auf ihren eigenen Wert zu besinnen und über die Zukunft nachzudenken – eine Zukunft, die ihrem jüngeren Bruder verwehrt geblieben war. Morgen jährte sich der Tag, an dem er im Meer vor Barfleur ertrunken war, und heute Abend würde sie in einem Gottesdienst in der Kathedrale für seine Seele beten.
»Ich sollte bald nach England zurückkehren«, sagte Adeliza. »Zum Weihnachtsfest muss ich wieder dort sein. Dein Vater erwartet das von mir, und ich habe Pflichten, auch wenn ich gerne noch länger bleiben würde.« Sie warf Matilda einen Blick zu. »Bist du sicher, dass du mich nicht begleiten willst? Ich würde mich wirklich freuen.«
Matilda hatte schon früher mit Adelizas Rückkehr nach England gerechnet – vielleicht, damit sie an Williams
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