Die Hueterin der Krone
Achseln.
»Sie tun auch nicht mehr weh als die anderen Verletzungen.«
Adeliza fand keine Worte. Sie konnte nicht glauben, dass Geoffrey of Anjou seiner Frau so etwas angetan hatte, und doch sprach Matildas Äußeres Bände. Sie fühlte sich entsetzlich schuldig, weil sie Matilda von Henrys Wünschen in Kenntnis setzen musste.
»Ach, mein Liebes«, stieß sie erneut hervor, und Tränen traten ihr in die Augen.
Matildas Augen blieben trocken.
»Ich nehme an, mein Vater hat dich geschickt, um mit mir zu reden.« Sie bedeutete Adeliza, Platz zu nehmen, und ließ sich behutsam auf einer gepolsterten Bank nieder, an der ein Gehstock mit einem Knauf aus poliertem Jett lehnte.
Diener brachten Adeliza parfümiertes Wasser, damit sie sich die Hände waschen konnte. Jemand zog ihr die Stiefel aus und streifte ihr zierliche bestickte Pantöffelchen über die Füße, dann wurden ihr Wein und kleine Kuchen angeboten.
»Ja, aber ich bin nicht nur deshalb hier.« Adeliza erhob sich und setzte sich neben Matilda. »Ich bin gekommen, weil ich mir Sorgen um dich mache – jetzt noch mehr als zuvor.« Sie ergriff Matildas Hände. »Du trägst deinen Ehering nicht.«
Matilda hob das Kinn.
»Ich gehe nicht zu ihm zurück.«
Adeliza drehte sich um und entließ die Diener mit einer anmutigen, aber gebieterischen Geste.
»Ich meine es ernst«, bekräftigte Matilda, als sich die Tür schloss.
Die Scheite im Kamin knackten leise. Nach außen hin bot sich dem Beobachter das harmonische Bild zweier kameradschaftlich beieinandersitzender Frauen, aber Adeliza kam sich vor, als werde sie in einen tosenden Sturm hineingezogen. Was sollte sie tun? Henry hatte sie angewiesen, Matilda zur Versöhnung mit ihrem Mann zu überreden, aber sie hatte keine Ahnung, wie und ob sie es überhaupt versuchen sollte.
Ihr fiel auf, wie rau, trocken, ja ungepflegt Matildas Hände waren – das passte überhaupt nicht zu der Matilda, die sie kannte und die immer großen Wert auf ihr Äußeres gelegt hatte. Sie hatte ihre Erscheinung genutzt, um ihren Befehlen Nachdruck zu verleihen. Adeliza nahm einen elfenbeinernen Salbentiegel aus ihrem Gepäck und öffnete ihn. Ein schwacher Kräuterduft stieg ihr in die Nase. Wieder nahm sie Matildas Hände und massierte die Salbe in ihre Haut.
»Erzähl mir alles«, drängte sie sanft. »Ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht mit mir sprichst.«
Matilda gab keine Antwort. Adeliza blickte von ihrer Tätigkeit auf und sah, dass das Kinn ihrer Stieftochter zitterte. »Wein nur, dann geht es dir besser.«
Matilda schüttelte den Kopf.
»Weinen bereitet mir Schmerzen.« Sie konnte nur gepresst flüstern, doch der Damm war gebrochen, und ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, weitere folgten; widerstrebende, qualvolle Laute, und sie musste ihren Brustkorb umklammern, weil sie fürchtete, er könne zerspringen.
Adeliza schloss sie mitleidig in die Arme. Auch sie würgten Tränen in der Kehle, aber sie musste sie hinunterschlucken. Sie durfte nicht über ihre eigene unerträgliche Situation nachdenken. »Erzähl mir alles«, wiederholte sie, nahm eine Serviette vom Tisch und trocknete Matildas Augen. »Sonst muss ich andere fragen, die mir nicht die Wahrheit sagen werden.«
Matilda schluckte und bemühte sich, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Zuerst fiel ihr das Sprechen schwer. Außer Uli und Emma hatte sie sich niemandem anvertraut, obwohl sie davon überzeugt war, dass sich die Gerüchte wie ein Lauffeuer verbreitet hatten und Adeliza bereits eine Version der Geschichte gehört haben musste. Und sie wusste nicht, wie Adeliza das Geschehene aufnehmen würde, denn sie war zwar liebevoll und mitfühlend, aber auch die Frau ihres Vaters. Matilda sprach mit gedämpfer Stimme. Es war, als beschreibe sie die Erlebnisse einer anderen Frau oder gebe einen Albtraum wieder, ein Produkt ihrer Fantasie. Ihre Prellungen und Blutergüsse waren der greifbare Beweis für all das Schreckliche, aber wie hatte das geschehen können, wo sie doch eine Kaiserin und die Tochter des Königs von England war?
Adeliza hielt ihre Hand, lauschte mit schweigendem Entsetzen, als Matilda die brutalen Misshandlungen beschrieb, und wurde immer blasser.
»Es ist mir egal«, schloss Matilda endlich. »Das alles spielt für mich keine Rolle mehr.«
»Aber für alle anderen ist es von Bedeutung, vor allem für deinen Vater«, hielt Adeliza dagegen. »Außerdem glaube ich dir nicht. Das klingt nicht nach der Frau, die ich kennen gelernt
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