Die Hueterin der Krone
presste eine Hand auf ihren flachen Bauch. Matilda schrieb, dass sie schwanger war und das Kind zu Anfang des Frühjahrs zur Welt kommen sollte. Tränen brannten in Adelizas Augen. Sie freute sich für ihre Stieftochter, empfand aber auch leises Selbstmitleid und sogar einen Hauch von Groll, weil Matilda guter Hoffnung war, während sie selbst unfruchtbar blieb. Ihr Neid bewirkte, dass sie sich schuldig und sündhaft vorkam. »Ich freue mich, dass der Herr dich so gesegnet hat«, sagte sie laut, um die negativen Gefühle zu verscheuchen, die sie überkamen.
»Madam, geht es Euch nicht gut?«, fragte Juliana, eine Kammerfrau. »Habt Ihr irgendeinen Wunsch?«
Adeliza schüttelte den Kopf.
»Nein«, erwiderte sie mit einer abwehrenden Handbewegung. »Ich rufe dich, wenn ich etwas brauche.« Juliana verschwand mit besorgter Miene, aber Adeliza war zu geistes abwesend, um davon Notiz zu nehmen. Henry wird sehr zufrieden sein, dachte sie. Endlich nahm die Verwirklichung seiner Pläne Gestalt an. Sie wusste, dass er andere Kandia ten für die Thronnachfolge in Betracht zog, nachdem Monat für Monat keine erfreuliche Nachricht aus Anjou gekommen war. Er hatte die Barone den Treueeid schwören lassen, aber er hatte für den Fall, dass sich seine Tochter als ebenso unfruchtbar erwies wie seine Frau, noch weitere Eisen im Feuer. Adeliza presste die Lippen zusammen. Sie war nach Wilton gekommen, um sich um das Leprakrankenhaus zu kümmern und sich spirituell zu stärken. Matilda hatte ihr ein freudiges Ereignis angekündigt, daran würde sie sich halten und ihr liebevolle Glückwünsche schicken. Doch all dieser guten Vorsätze zum Trotz spürte sie, wie sich die Traurigkeit wie ein feiner grauer Schleier auf sie herabsenkte.
Matilda schloss die Augen, umklammerte die Hände der Geburtshelferin und presste, als die nächste Wehe ihren Körper schüttelte. Sie wusste, was ihr noch bevorstand; sie hatte es in Speyer erlebt, als sie zwei Tage lang gekämpft hatte, um ihren missgebildeten, toten Sohn zur Welt zu bringen. Jetzt wuchs ihre Panik ständig, aber sie ließ sich nichts anmerken. Wäh rend ihrer Schwangerschaft und der Zeit unmittelbar vor der Niederkunft hatte sie so viele Bücher und Abhandlungen über Geburten gelesen, wie sie den Ärzten und Geistlichen hatte abschwatzen können. Sie hatte den Tractatus de egritudinibus mulierum , das Liber de sinthomatibus mulierum und das De curis mulierum studiert, denn sie war entschlossen, so viele Einzelheiten über den Geburtsvorgang wie möglich in Erfahrung zu bringen, weil ihr Überleben von diesem Wissen abhängen konnte. Ein erfahrener Soldat zog nicht ohne Rüstzeug in die Schlacht. Wenn sie die Geburt überleben wollte, musste sie bestens vorbereitet sein. An dem Tag, an dem Geoffrey das Stück Moos in ihrem Schoß entdeckt hatte, hatte sie sich neue Ziele setzen müssen. Dieses Kind würde, wenn es am Leben blieb, der Erbe von Anjou, der Normandie und England sein, und sie musste alles in ihrer Macht Stehende dafür tun, dass es dieses Erbe eines Tages auch antreten konnte.
Während der letzten drei Monate hatte sie eine aus leichten, bekömmlichen Nahrungsmitteln bestehende Schonkost zu sich genommen: Eier, Huhn und Rebhuhn und viel Fisch. Sie hatte regelmäßig in parfümiertem Wasser gebadet und sich die Haut mit Veilchenöl eingerieben, um sie geschmeidig zu halten. Nachdem sie sich mit ihrer Schwangerschaft abgefunden hatte, hatte sie alles getan, dass das Heranwachsen des Kindes in ihrem Leib und seine Geburt nach Plan verliefen. Der Rest lag in Gottes Hand. Sie lag seit den frühen Morgenstunden in den Wehen, und jetzt war es kurz nach der Mittagszeit. Geoffrey ging rastlos vor der Tür auf und ab und schickte in regelmäßigen Abständen einen Diener in die Kammer. Matilda wusste wohl, dass ihn nicht die Sorge um sie dazu trieb, sondern die Angst um die Gesundheit seines Erben.
Ihr Unterleib fühlte sich an, als würde er von einer riesigen Faust ausgewrungen. Matilda schloss die Augen, ertrug die nächste Wehe und presste leise stöhnend mit aller Kraft. Benommen hörte sie, wie die Helferin der Hebamme dem Diener mitteilte, dass das Baby fast auf der Welt sei. Keine Stunde mehr, wenn alles gut ging.
Matilda lachte freudlos auf.
»Er steht furchtbare Ängste aus, dass es ein Mädchen werden könnte«, keuchte sie. »Ehe ich mich in das Wochenbett gelegt habe, hat er sich ständig deswegen gesorgt; er war nervös wie ein Hund, der Flöhe hat. Er sagte,
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