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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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ständig schlafen wollte. So war es auch an jenem Tag. Ich hatte versprochen, das Feuer zu hüten, aber anstatt das zu tun, bin ich zum Spielen nach draußen.«
    Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen.
    »Ich hatte alles vergessen, aber plötzlich fiel es mir wieder ein. Ich bin zurückgerannt, da sah ich die Flammen schon aus dem Dach schlagen. Ich hab die Türe aufgerissen, und die Luftzufuhr hat dann …« Sie konnte nicht weitersprechen.
    »Sie sind gestorben?«, sagte Mathis sehr sanft.
    Ava nickte.
    »Alle?«
    »Alle vier. Sie war doch schwanger.« Ava weinte bitterlich. »Die schrecklichen Bilder überfallen mich immer wieder, und ich kann nichts dagegen tun – nichts!«
    »Außer lernen, sie anzunehmen. Du kannst nicht ändern, was geschehen ist. Aber du kannst versuchen, damit zu leben.«
    »Das kann ich nicht«, sagte sie unter Tränen. »Niemals!«
    »Du musst sogar. Was willst du sonst einmal deinem Kind sagen?« Er beugte sich hinunter und zog etwas aus seiner Rocktasche. »Schau, was ich dir mitgebracht habe.« Mathis legte eine kleine Kette aus hellen Bernsteinperlen auf Avas Bauch. »Damit soll das Zahnen viel einfacher werden.«
    »Ist das nicht noch ein bisschen früh?« Sie merkte zu ihrem Erstaunen, dass sie unter Tränen lächeln musste.
    »Man kann nie früh genug damit anfangen.« Er bettete seinen Kopf in ihren Schoß. »Bewegt es sich schon?«
    »Manchmal.« Der schmerzhafte Knoten in ihrer Brust war noch immer da, doch er war kleiner geworden, viel kleiner. »Und dann weiß ich wenigstens, dass es kein Traum ist.«
    »Es ist ein Traum«, sagte er. »Kinder kommen aus einer anderen Welt zu uns.«
    Sie schob ihn ein Stück beiseite.
    »Da gibt es noch etwas, was du wissen solltest, Mathis. Ob es dein Kind ist, kann ich nicht …«
    »Es ist dein Kind, Ava«, sagte er. »Das steht fest, oder?«
    Sie nickte.
    »Das ist das Einzige, was ich wissen muss.«
    »Aber du ahnst ja nicht, was inzwischen alles geschehen ist!«
    Er zog sein Hemd über den Kopf, dann streifte er die Stiefel ab und schlüpfte aus seiner Hose.
    »Rück ein Stück«, sagte er mit einem Grinsen, als er zu ihr unter die Decke schlüpfte. »Und jetzt erzähl mir alles, was du loswerden musst.«

ELF
    S imon stellte den Napf ab und griff zum Lappen. Er hatte ihn gut getränkt, dass das Lindenholz genügend Wachs aufnehmen konnte. Sobald alles eingezogen war, stand nur noch die Endpolitur mit einem weichen Tuch an. Er trat ein paar Schritte zurück, ließ die drei Magier aus der Entfernung auf sich wirken, bevor er sie erneut und dieses Mal endgültig umgruppierte. Melchior, den Ältesten, stellte er in die Mitte, rechts von ihm den jungen Caspar, während der Platz Balthasars links war.
    »Aber das ist ja Veit!«, rief Marie, die ihm auf einem Tablett Brot, Schinken und Biersuppe brachte, damit er über dem Schnitzen das Essen nicht ganz vergaß. »Du hast deinem Balthasar seine Züge gegeben. Seine Haare, seine Statur.«
    Hoffentlich nicht das Einzige, was ich für meinen Vater noch tun kann, dachte Simon. Die Erinnerung, wie er einmal war, in Holz zu bannen.
    »Die Könige unserer ersten Krippe hatten sehr viel prachtvollere Gewänder«, sagte er und zwang sich zu einer halbwegs zuversichtlichen Miene. »Allein die vielen Stunden, die du daran genäht hast! Und jetzt war alles umsonst.«
    »Was spielt das noch für eine Rolle, Simon? Außerdem ist dein Holz schöner als all die Samte und Seiden zusammen«, sagte Marie. »Sie sehen so lebendig aus. So würdig. Und sehr geheimnisvoll. Drei große Könige, von weit her aus dem Morgenland gekommen, um dem König der Könige ihre Gaben darzubringen.«
    »Sag ehrlich: Ist dieser König der Könige nicht etwas zu klein geraten?«, sagte Simon. »Manchmal habe ich Angst, dass man ihn in der Krippe übersieht.«
    »Jesus ist als Mensch für uns geboren worden«, sagte Marie. »So klein und schwach wie jedes andere Kind. Genau daran liegt seine Stärke. Er ist nicht zu klein, Simon! Ich kann das Strahlen spüren, das von ihm ausgeht.«
    Sie umrundete die Werkbank, um die Figuren von allen Seiten zu betrachten. Er sah, wie sie dabei kurz über den Rücken der Maria strich, und freute sich darüber. Die Maria mit dem anderen Gesicht hatte er nie gemocht. Und Selina war überglücklich, dass er sie zum Vorbild für seine Gottesmutter gewählt hatte.
    »Deine Hirten kommen mir vor wie Nachbarn«, sagte Marie. »Sie sehen aus, als könnte man sie mit ihren Tieren bei uns am Fluss

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