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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Mühe, es zu versuchen. Was weißt du schon von ihnen? Sogar wir, deine Allernächsten, sind dir fremd. Du hast doch nicht die geringste Ahnung, was in uns vorgeht – in mir, deiner Frau oder deiner Tochter.«
    »Wieso redest du jetzt auf einmal von Selina? Ist irgendetwas mit ihr? Sag schon!«
    Simon begann zu lachen.
    »Ja«, sagte er, »allerdings! Was willst du zuerst hören? Sie ist beinahe taub, einsam und kein kleines Mädchen mehr. Sie hasst Bamberg und weiß nicht, wohin mit sich. Vielleicht sucht sie sich sogar die falschen Freunde aus ...«
    »Aber sie ist nicht wieder krank geworden, oder? Es ist ihr doch nichts zugestoßen?«
    »Nicht mehr als sonst, wenn dich das beruhigt. Nein, nur das Übliche. Verzeih, ich hätte erst gar nicht damit anfangen sollen.«
    Sie sahen sich schweigend an.
    Simon hob das Tuch, mit dem er die Figuren zugedeckt hatte. »Lämmer, Widder und Hunde«, sagte er. »Lauter hübsche kleine Modelle. Alles fertig. Wenn du willst, kann ich auch noch Otter, Hirsche und Auerhähne schnitzen. Oder soll ich morgen früh lieber die Hirtenunterkünfte skizzieren, sobald es hell geworden ist? Ich warte nur auf deine Anweisungen.« Er ließ das Tuch wieder sinken.
    »Du weißt genau, was der Fürstbischof gesagt hat«, erwiderte Veit ruhig. »Du hast es selber gehört. Fuchs von Dornheim wird sich nicht die Mühe machen, deine Handschrift in Hunden und Schafen zu suchen. Also, was ist nun mit den Hirten?«
    Simon griff blindlings nach einem Balleisen und nahm einen der Abziehsteine, die in einem ölgefüllten Behälter lagen. Heftig begann er zu schleifen, wütend über den Verlauf des Gesprächs.
    »Was ist denn nun schon wieder los?«, fragte Veit in seinen steifen Rücken hinein.
    »Nichts. Ich muss dich enttäuschen. Irgendwann hat mich die Eingebung verlassen. Aber was macht das schon? Du wirst ohnehin bereits wissen, was weiter zu tun ist, nach deinen geheiligten Regeln, die niemals versagen ...«
    Er wandte sich ab. Einen Moment sah es aus, als würde er das Eisen auf die Hobelbank werfen wollen, aber er besann sich im letzten Augenblick und legte es nur unsanft auf einen Tisch.
    »In der Zwischenzeit kann ich ja wieder Hände schnitzen. Hände und Füße – so lange, bis meine Demut tief genug ist und du mich gnädigerweise davon erlöst.«
    »Ich mag nicht, wenn du so redest«, sagte Veit. »So zynisch, so verloren. Dafür gibt es keinerlei Grund.«
    »Nein?«, sagte Simon und sah ihn mit Francescas spöttischem Lächeln an. »Bist du dir da wirklich so sicher, Vater?«

    Sie hatte sich große Mühe gegeben mit dem Linseneintopf, aber keinem schien er zu schmecken. Selina kaute lustlos an den Würsten herum und starrte ausdruckslos vor sich hin. Veit hatte sich gleich nach den ersten Löffeln auf seinem Stuhl zurückgelehnt, und jetzt kritzelte er auf einem Stück Papier herum. Selbst Simon, von allen offensichtlich noch der hungrigste, schlang eher, als zu genießen, was sie mit so viel Liebe gekocht hatte.
    Als die Göhlerin vorsichtig den Kopf zur Türe hereinstreckte, um zu fragen, ob sie abräumen könne, nickte Marie ihr zu. Je schneller ihr das Geschirr aus den Augen kam, desto besser.
    »Ich weiß bald überhaupt nicht mehr, was ich noch auf den Tisch bringen soll«, sagte sie. »Nichts, was ich koche, scheint euch zu schmecken.«
    Drei Augenpaare flogen zu ihr.
    »War doch gut«, sagte Simon. »Und mehr als reichlich. Satt geworden bin ich jedenfalls.«
    Selina schwieg. Marie wusste auch so, was in ihr vorging. Sie vermisste die Küche ihrer Mutter, die Teigwaren, die Kräuter, die Gewürze. Sie machte sich nichts aus Schmalz und Gänsefett, und bevor sie einen von Maries üppigen Kuchen probierte, aß sie lieber gar nichts.
    »Das finde ich auch«, sagte Veit.
    »Und deshalb isst du nichts?«, gab sie zurück. »Ich dachte immer, du bist ganz verrückt auf Linsen.«
    »Das war einmal. Du weißt doch, was der Bader gesagt hat.« Er schickte ihr ein schiefes Lächeln. »Abstinenz – leider. Du hast einen alten Mann geheiratet, Marie, keinen jungen Spund.«
    Sie verstand, was er meinte, besser, als ihr lieb war.
    Nicht nur am Tisch hielt er sich zurück, auch nachts in der Kammer war es nicht anders. Er berührte sie kaum noch, allenfalls mit flüchtigen Küssen, und manchmal hielt er wie ein schüchterner Jüngling einfach nur ihre Hand, bis sie eingeschlafen waren. Auf einmal schienen ihre Rollen vertauscht, und Marie ertappte sich dabei, dass sie die früheren

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