Die Hüterin der Quelle
vor.
Als Rose ihn nur wenige Tage später zum Kontor von Mauro Mancini führte, nahm sein Staunen kein Ende. Er entdeckte Farbnuancen, die er niemals zuvor gesehen hatte. Hielt Seide in den Händen, zart und leuchtend, wie in seinen schönsten Träumen.
Doch das war nur der Beginn. Weiter ging es zu Ravello, der moosweiche Samte anbot, zu Paschetti, der hauptsächlich in Barchent machte, und zu den Tuchen von Antonelli und Vanucchi, mit denen sich Hirtenfiguren, Kinder und einfaches Krippenvolk ganz nach Wunsch einkleiden ließen. Die Namen flogen ihm ebenso um die Ohren wie die Vielfalt der Qualitäten. Simon kam mit dem Notieren kaum hinterher, denn sein beschränktes Budget verlangte eine strenge Kalkulation.
Inmitten all der Pracht fielen ihm plötzlich die Schnitzer aus Brixen wieder ein. Die Gebrüder Rienzo, zu denen Adam Thies ihn gebracht hatte, hielten sich nicht mit dem Ausstaffieren von Gliederpuppen auf, sondern schnitzten Plastiken aus Kernholz. Und dennoch gelangten sie zum Ziel. Ihre Krippe war lebendig, von einer strengen Schlichtheit, die ihn tief angerührt hatte.
»Das Geheimnis von Jesu Geburt will mit allen Sinnen erfasst werden. Nicht zuletzt mit dem Herzen.« Der Priester hatte bewegt geklungen. »Glauben kommt von Hören. Hören aber ist mehr als die Wahrnehmung der Botschaft über Gehör und Kopf.« Simon spürte noch jetzt dessen warme Hand auf seiner Brust. Eine überraschend wohltuende Berührung, die er bis heute nicht vergessen hatte. Ob Adam Thies noch immer in Brixen um eine Entscheidung rang?
Es blieb ihm nicht allzu viel Zeit, solchen Gedanken nachzuhängen, obwohl ihn die Stimme des Priesters und vor allem sein Lächeln bis in die Träume begleiteten. Simon hetzte von Kontor zu Kontor, von Lager zu Lager, verglich, rechnete, feilschte. Oft überlegte er, was sein Vater wohl zu der Anschaffung sagen würde, und korrigierte seine Wahl. Aber es gab auch eine ganze Reihe von Entscheidungen, die er ohne zu zögern traf.
Als schon alles beisammen war, wonach er Ausschau gehalten hatte, entdeckte er noch ein wunderschönes Stück Seide in strahlendem Hyazinthblau. Simon kaufte es, obwohl der Preis unvernünftig hoch war, aber für den Mantel Mariae erschien es ihm genau das Richtige.
Eigentlich hätte er nun die Heimreise antreten können. Die Stoffe waren in grobem Sackleinen sicher eingeschlagen und fest verzurrt, und Lucie schien des Stalllebens mehr als überdrüssig. Doch die sonnigen Herbsttage verlockten ihn zum Bleiben. Er schlenderte durch die Gassen, ließ sich hier zu einem Glas Roten bitten, dort zu einer Mahlzeit. Die jungen und älteren Dirnen, die ihre Dienste in den unteren Arkaden der Arena anboten, registrierte er, aber er beachtete sie kaum. Zu frisch war noch die Erinnerung an jene unselige Nacht in Bamberg.
Die Zeit schien stillzustehen, während er die wohltuende Wärme und die Leichtigkeit des urbanen Lebens genoss. Alle Last, alles Schwere fiel von ihm ab, und ein innerer Übermut kehrte zurück, den er lange vermisst hatte. Vielleicht vergaß er deshalb, rechtzeitig zu protestieren, als Mancini ihn bereits zum dritten Mal zum Abendessen in sein Haus bat und dabei seine Tochter immer auffälliger ins Spiel brachte.
Fania war ein streng gescheiteltes junges Mädchen mit breitem Becken und dunklem Flaum auf der Oberlippe, sicherlich liebenswert, aber so unbeholfen schüchtern, dass ihr rundliches Gesicht jedes Mal dunkelrot anlief, wenn er nur das Wort an sie richtete. Als der Vater sie unter einem Vorwand hinausschickte und wortreich begann, von ihren Tugenden und der Mitgift zu schwärmen, die ihren Zukünftigen einmal erwarten würde, wusste Simon, dass es höchste Zeit wurde, nach Hause zu reiten.
Obwohl man ihm in Verona von der Schönheit des Gardasees berichtet hatte, ließ er sich zu keinem Abstecher verleiten, sondern hielt sich strikt in Richtung Norden. Er nahm sich kaum Zeit für das Naturschauspiel der Veroneser Klause, wo der Weg am Fluss unter der steilen Felsenge so schmal wurde, dass man beinahe Angst haben musste, ins Wasser zu fallen.
Die Weinberge ringsumher waren inzwischen alle abgeerntet. Dafür entschädigte ihn das Gold und Rot der Obstbäume mit ihrem Farbspiel. Aber Simon bekam auch zu spüren, wie spät er schon dran war. Morgens hielten sich hartnäckige Nebelschwaden, die erst verschwanden, wenn die Sonne tagsüber mehr an Kraft gewann.
Er gönnte sich und dem Pferd nur die notwendigsten Pausen, bis sie Bozen erreicht hatten.
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