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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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Doch das war ihr egal.
    Er umschloss sie fester. »Ich bin sicher, nichts wäre anders gekommen, wenn der Medicus oder der Pfarrer früher eingetroffen wären. Sebastian Rehm hat seine Liebste zu sich geholt. Im Paradies werden die beiden den Frieden finden, der ihnen auf Erden verwehrt blieb. Vielleicht ist das der Sinn dieser Tragödie.«
    »Ich kann mir ein Leben ohne Martha nicht vorstellen«, wisperte sie in sein Hemd, das feucht war von ihren Tränen.
    »Wenn Gott würfelt, verlieren die Menschen. Anfang dieses Jahres sind mein Vater und mein älterer Bruder tödlich verunglückt, und damit hat sich alles verändert. Ich wollte niemals Verleger werden, ich habe die Rechtswissenschaften studiert, um Fürsprecher zu sein. Es fragt niemand, ob ich glücklich mit dieser Entscheidung bin. Ich musste meine Träume loslassen – und ebenso ist es für Euch. Eure Welt ist in ihren Grundfesten erschüttert, trotzdem müsst Ihr nach einem neuen Weg suchen, den Ihr alleine beschreiten werdet.«
    Seine Beschwichtigungen zeigten Wirkung: Sie zog die Nase hoch wie ein kleines Kind und legte ihren Kopf in den Nacken. In dem schwachen Licht der einsamen Kerze entdecktesie wieder den trügerischen Glanz in seinen Augen. Sie war ihm so nahe, dass ihr die persönlichste aller Fragen wie eine Selbstverständlichkeit erschien: »Habt Ihr Martha geliebt?«
    Abrupt ließ er sie los. »Was?«, fragte er kopfschüttelnd und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?«
    Beschämt zuckte sie mit den Schultern. Der körperliche Abstand zu ihm half ihr, die Situation angemessen zu betrachten. Mit einem Mal hatte sich die Nähe, die sie empfunden hatte, in Flüchtigkeit aufgelöst, und er war wieder ein Fremder, der ihre Cousine vielleicht verehrt hatte – aber nur vielleicht, und ganz gewiss niemand, den sie über Gefühlsdinge ausfragen durfte.
    »Martha Rehm war ein guter Mensch«, hob er an, offenbar bemüht, das Andenken der Toten nicht durch eine falsche Äußerung zu beschädigen. Während er sprach, begann er, vor Christiane auf und ab zu wandern: »Dass sie nicht mehr unter uns weilt, ist ein großer Verlust. Sicher wurde sie stets auf die eine oder andere Weise geliebt, aber ... aber ... Ihr irrt Euch, wenn Ihr annehmt, ich hätte Absichten verfolgt, die in irgendeiner Weise ...«, hilflos brach er ab und blieb in geringer Entfernung vor ihr stehen.
    Christiane schluckte. »Verzeihung, ich dachte ... Ich wollte Euch nicht zu nahe treten. Es geht mich ja auch nichts an.«
    »Das weiß ich nicht«, erwiderte er ruhig und blickte ihr in die Augen. »Wenn Ihr schon so deutlich fragt, sollte ich Euch die Antwort eigentlich nicht schuldig bleiben, nicht wahr?«
    »Schon möglich.« Unter seinem eindringlichen Blick senkte sie verlegen die Lider. Es war ihr unangenehm, dass ihr Herz in ihrer Brust einen absonderlichen Trommelwirbel veranstaltete.
    »Ich habe mich als Mann nicht zu ihr hingezogen gefühlt.Das ist die Wahrheit ...«, er räusperte sich wieder und setzte hinzu: »Ich würde dich allerdings gerne noch einmal küssen, wenn der Zeitpunkt nicht so unpassend wäre. Der Kuss war wunderschön.«
    Ein Schmunzeln umspielte ihre Lippen, als sie aufschaute und mit einer kleinen Geste das Zimmer umfasste. »Der Ort ist auch nicht besonders schicklich. Es gehört sich nicht, dass ich länger hier bleibe. Ich sollte jetzt gehen – und ich hätte wahrscheinlich auch gar nicht kommen dürfen.«
    Delius griff nach seinem Wams, das über der Stuhllehne hing, und warf es sich rasch über. »Ich werde Euch begleiten«, sagte er dabei, wieder in den förmlichen Ton schwenkend, was sie ein wenig bedauerte. »Ihr solltet nicht alleine durch die Nacht wandern.«
    »Ist es nicht gleichgültig, was mit mir geschieht?«
    »Nein. Nein, das ist es nicht. Denkt doch an den kleinen Johannes, der nun nur noch Euch hat«, er schenkte ihr ein zärtliches Lächeln. »Und denkt bitte auch ein wenig an mich. Ich würde es sehr bedauern, wenn Euch etwas zustieße.«
    Verwundert schwieg sie. Was hätte sie auch antworten sollen? Dass seine Gefühlsäußerung sie umfing wie ein wärmender Mantel in eisiger Nacht? Sie freute sich mehr über seine Worte, als sie zuzugeben bereit war. Es war alles so verwirrend, und wahrscheinlich hatte er recht damit, dass es der falsche Zeitpunkt für sie beide war. Sie war gekommen, um ihn mit ihrer Anklage zu konfrontieren, doch stattdessen hatte er ihren Schmerz gelindert und ihr Trost

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