Die Hüterin des Evangeliums
konnte.«
Sie sah ihn an. In seinen Augen lag Wahrhaftigkeit und nichts Falsches. Dennoch zögerte sie, ihm zu glauben, denn er war ein Exorzist und ein Jesuit – und selbst seine katholischen Glaubensbrüder warnten zuweilen vor den Ordensbrüdern der Gesellschaft Jesu. Ihr fiel ein, dass Sebastian ihm Vertrauen geschenkt hatte und dass sie es deshalb ebenso halten sollte ...
»Grüß Gott, Meitingerin«, die Passantin war schon vorüber, als Christiane den Kopf zu ihr hob. Mit schnellen Schritten lief die Frau an ihr vorbei, die sie vage als eine Nachbarin erkannte.
Natürlich, dachte Christiane bitter, Bürgerinnen, die den Teufel zu Besuch haben, werden gemieden, einerlei, ob es sich um Einbildung oder Realität handelt.
»Eure Wahrheit ist nicht neu für mich«, wandte sie sich schließlich an Pater Ehlert. »Habt Ihr wenigstens einen Verdacht, wer der Mörder ist? Hat Euch Sebastian gesagt, wer ihm den Auftrag für die Fälschungen gab?«
»Nein«, er schüttelte traurig den Kopf, »dazu kam er nicht mehr. Er hat mir nur noch von seiner lebenslangen Freundschaft zu Georg Imhoff berichtet, aber auch das dürfte keine Überraschung für Euch sein.«
Sie zuckte mit den Achseln und schwieg.
»Es ist schon bemerkenswert, was eine Männerfreundschaft bewirken kann. Sebastian Rehm und Georg Imhoffwaren wie Brüder, ein bisschen wie Kain und Abel, möchte man meinen, der eine gutherzig und der andere auf den eigenen Vorteil aus ...«
»Wie kommt Ihr darauf?«, fragte Christiane rasch. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen, die biblische Gleichung auf die beiden Schriftsteller anzuwenden. Das Gefühl beschlich sie, dass der Priester, ohne darüber nachzudenken, zu sich selbst geredet und dabei weniger an seine Gesprächspartnerin gedacht hatte.
»Sebastian Rehm gestand mir auf dem Sterbebett, dass Georg Imhoff eigentlich nicht schreiben kann. Jede Zeile, mit der sein Freund berühmt wurde, stammt aus seiner Feder.«
»Was ...« für eine absurde Lüge , wollte Christiane ausrufen, doch sie biss sich gerade noch auf die Zunge.
Es klang unglaublich, aber Sebastian Rehm hätte niemals eine solche Behauptung von sich gegeben, wenn diese nur leeres Geschwätz gewesen wäre, schon gar nicht angesichts des Todes. Für böswilligen Klatsch war Marthas Mann nicht zu haben gewesen. Und plötzlich stürmten Erinnerungen auf Christiane ein, welche die Worte des Priesters bestätigten: Sebastian, der sich darüber aufgeregt hatte, dass Imhoff seine Fassade mit Zitaten schmückte; Georg, der ihr berichtete, dass er seit Sebastian Rehms Dahinscheiden keine Zeile mehr hatte zu Papier bringen können ...
»Aber warum ...?«, murmelte sie, dankbar, dass Pater Ehlert sie noch immer stützte, denn nun fürchtete sie doch, ihre Knie würden unter der Last nachgeben, die sie auf ihren Schultern empfand.
»Warum er das getan hat? Das habe ich ihn gefragt, Meitingerin, natürlich habe ich das. Die Erkenntnis, dass Sebastian Rehm ein überaus schwacher Mensch war, genügte mir nicht. Es war eine Geschichte aus der Jugend, die er mir erzählte. Die Wette um ein Mädchen. Wenn ich es richtig verstandenhabe, gewann Imhoff ein Schäferstündchen und steckte sich bei dieser Gelegenheit mit einer unheilbaren Krankheit an, aber das ist kein Thema für eine Dame ...«
Christiane schlug sich die Hand vor den Mund. »Die Syphilis«, wisperte sie, aus anderen Gründen schockiert, als Pater Ehlert vermuten mochte.
»Ihr wisst auch darüber Bescheid?«
»Ja ... nein ... ich ...«, sie schluckte. »Ich traf Georg Imhoff neulich vor dem Holzhaus der Fuggerei. Erinnert Ihr Euch nicht? Ihr wart doch auch da. Jedenfalls drängte ihm der Bader ein Medikament auf, ich glaube, es war eine Quecksilberlösung, und Imhoff weigerte sich, diese anzunehmen. Er behauptete, gesund zu sein.«
»Quecksilber«, wiederholte Pater Ehlert nachdenklich.
»Ja, aber das spielt doch eigentlich keine Rolle, oder? Was mich vielmehr interessiert: Hat Euch Sebastian Rehm gesagt, warum Imhoff ein reicher Mann ist und er mit keinem Heller vom Erfolg seiner Schriften profitierte?«
Mit ihrer Frage schien sie den Jesuiten aus einer Meditation zu wecken. Er starrte sie erstaunt an. »Nein, das hat er nicht. Vielleicht war Sebastian Rehm zu schwach, um sich gegen seinen Freund aufzulehnen. Oder es gab noch eine alte Geschichte, wer weiß ...? Aber es scheint mir, dass Imhoff doch noch zur Besinnung kam und Sebastian Rehms Arbeit aufzuwerten versuchte. Gemeinsam mit ihm und
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