Die Hüterin des Evangeliums
Bier und rang mit sich, ob er sich auf Ditmolds Auskunft verlassen oder zu Meitingers Haus eilen sollte, um selbst nach dem Rechten zu sehen ... Plötzlich flammte eine Erinnerung in ihm auf.
»Seltsam«, sagte er langsam. »In dieser Stadt scheint der Teufel rühriger zu sein als anderswo.«
»Was meinst du?«
Da er nicht aufstehen und herumlaufen konnte, um seinem Geist Bewegung zu verschaffen, schob Delius seinen Bierkrug auf der blankgescheuerten Tischplatte hin und her. »Sebastian Rehm schrieb irgendetwas vom Teufel, ich weiß nicht mehr genau, was, aber ich bin sicher, dass es so war. Erzählte nicht auch Martha, ihrem Gatten sei Satan erschienen? Und dann diese Begeisterung für Teufelsaustreibungen, die Augsburg heimsucht wie eine der biblischen Plagen. Hier scheint es eine ganz besondere Hinwendung zu einem gewissen Aberglauben zu geben.«
Ditmold strich sich übers Kinn. »Ein Mensch, der sich als Satan verkleidet, würde hier nicht sonderlich auffallen. Er könnte im Schutz der Dunkelheit unbehelligt umherspazieren. Derselbe Mann, der bei Christiane Meitinger eingebrochen ist, erschreckte Sebastian Rehm ...«, er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: »Das bringt uns nur nicht weiter. Es steht außer Frage, dass zwischen den Morden und dem Vorfall in Meitingers Haus ein Zusammenhang besteht.«
»Richtig. Wir sollten aber überdenken, wer auf diese Idee kommen könnte. Welcher Mann ist so dreist, sich als leibhaftiger Teufel auszugeben?«
»Jemand, der keine Angst vor der Hölle hat«, behauptete der Assessor. »Ein Priester ist sich aufgrund seiner Lebensführung des Paradieses vielleicht sicher ...«
Delius hob erstaunt die Augenbrauen. »Du hältst einen Mann Gottes für den Mörder?«
»Es wurden in der Geschichte schon viele Geistliche zu Tätern, weil sie ihren Glauben schützen wollten.«
»Wenn wir nur wüssten, wer der Prediger der Täufergemeinde ist.«
Delius dachte an Antons Mutter und wollte sich nicht vorstellen, welche Qualen die zierliche Frau zur Stunde erlitt.Ihm schauderte bei dem Gedanken, dass Ditmold, der die Anordnung zur peinlichen Befragung getroffen hatte, zur selben Zeit seiner Lust zu frönen hoffte – und wenn auch nur im Geiste.
Unwillkürlich suchten seine Augen nach der blonden Hure. Vielleicht war es wirklich das Beste, am Busen eines hübschen Weibes das Schlechte in der Welt zu vergessen. Mit der Flüchtigkeit eines Augenblicks überlegte er, dass er selbst gern in den Armen einer Frau liegen würde. Diese verkaufte ihre Liebe jedoch nicht; sie war auch nicht blond ...
Er war im Begriff, dem Mädchen zuzuwinken, als sein Freund mit berufsmäßiger Sachlichkeit berichtete:
»Bislang reden die Schobers nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Die Schoberin spricht andauernd. Sie nennt jeden Namen, der ihr in den Sinn kommt. Alle Apostel und fast alle Heilige hat sie bereits durch.«
Widerstrebend wandte sich Delius von der Hübschlerin ab, die er seinem Freund zum Geschenk hatte machen wollen. Sie schien ohnehin einen anderen Verehrer im Kreis der zuvor eingetroffenen Gelehrten gefunden zu haben. Ditmold musste sich also weiter bescheiden und mit der Tragödie beschäftigen.
»Besonders scheint es ihr Sankt Georg angetan zu haben, zu diesem Märtyrer betet sie gerne.«
»Wie ungewöhnlich für ein Mitglied der Täufergemeinde«, konstatierte Delius. »Andererseits ist der heilige Georg sicher eine gute Wahl. Durch seinen Glauben gestärkt, überlebte er die Grausamkeit der Folter.«
»Es ist für alle Beteiligten zermürbend, aber wir können nichts anderes tun, als geduldig zu sein.«
»Nein«, widersprach der Verleger entschieden und schob den Bierkrug von sich. Was immer sein Freund an diesem Abend noch zu tun beabsichtigte, er würde die nächsten Stundenmit einer Frau verbringen. Sicher nicht in ihrem Bett, aber zumindest in ihrer Gesellschaft. »Die Gefahr für Leib und Leben von Christiane Meitinger ist zu groß, um herumzusitzen und auf Satan zu warten. Ich werde jetzt zu ihr gehen ...«
Ditmold legte ihm die Hand auf den Arm. »Bleib sitzen und mach dich nicht zum Narren! Du kannst sie nicht besser beschützen als die Wache, die ich vor Meitingers Haus befohlen habe. Es ist ein schwerbewaffneter Söldner, der weder Tod noch Teufel fürchtet.«
»Ich möchte einen Besuch machen und keinen Krieg führen«, protestierte Wolfgang, stand aber nicht auf.
»Bei allem Verständnis für deine Gefühle, mein Freund: Du kannst nicht einfach zu ihr stürmen
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