Die Hüterin des Evangeliums
beim Arm. Dann dankte sie der Wache mit einem kurzen Nicken. Kurz darauf schloss sie das Tor hinter sich und dem Druckergesellen. »Ich werde deine Wunden versorgen«, erklärte sie und ging ihm voraus zur Küche, »und währenddessen wirst du mir sagen, wo du warst. Es ist allerhand passiert, seit du verschwunden bist.«
»Ich hab gehört, was Anton geschehen ist«, lispelte Karl.
»Das ist sehr schlimm ...«
»Ja, und das mit seinen Eltern auch.«
Überrascht drehte sich Christiane um. »Was ist mit den Schobers?«
Wäre es ihm möglich gewesen, hätte der Geselle sicher beide Augen aufgerissen, unter den gegebenen Umständen schnitt er eine Grimasse. »Sie wären Täufer, heißt es. Von diesem Teufel, dem Prediger aus der Schweiz, besessen.«
Anton war also das Verbindungsglied zwischen den Textenim Weinkeller und der Druckerei Meitinger. Auf den ersten Blick sah dies für Christiane vernünftig aus. Doch bei näherer Betrachtung war es schwer vorstellbar, dass sich Severin von einem Lehrbuben und dessen Eltern, die einfache Handwerksleute waren, zu einem derartigen Betrug überreden ließ.
»Der Reichserbmarschall hat sie in den Kerker geworfen«, fuhr Karl in ungewohnter Gesprächigkeit fort. »Irgendwann werden sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Meint Ihr, ich sollte Anton den Gefallen tun und hingehen, wenn’s so weit ist? Ich verstehe nur nicht, warum sie überhaupt noch befragt werden.«
Aber ich kann mir den Grund denken, fuhr es Christiane bitter durch den Kopf. Bernhard Ditmold konnte sich ebenso wenig wie sie selbst erklären, warum Meitinger sich auf einen Händel mit diesen Leuten eingelassen haben sollte. Die Schobers wurden gefoltert, um den Namen des Mannes preiszugeben, der für die ganze Sache verantwortlich war. Ob Antons Vater im Auftrag dieses Menschen in Teufelsgestalt zum Mörder geworden war?
Während Christiane das Feuer im Küchenofen schürte, fragte sie: »Hast du erfahren, wann Schobers eingekerkert wurden?«
»Nein. Aber ein paar Tage ist es wohl her.«
»Hm«, machte sie und stieß den Schürhaken so fest in die Glut, dass er auf den Eisenrost schlug. Wahrscheinlich war Antons Vater also nicht Satans Helfershelfer – jedenfalls nicht beim Einbruch in ihr Haus. Erledigte der Teufel derartige Überfälle selbst, oder gab es noch weitere Männer, die seinen Befehlen blind gegen Recht und Ordnung folgten? Wie viele Verschwörer hatten es auf sie abgesehen? Trotz des aufflammenden Feuers begann sie zu frösteln.
Karl hatte es sich derweil auf einem Stuhl bequem gemacht. Er lehnte sich zurück und kippelte gedankenverloren. Nacheiner Weile, in der Christiane den Wasserkessel aufgesetzt hatte, hob er plötzlich an: »Ein Fluch liegt auf der Werkstatt, Meitingerin.«
»Das glaube ich inzwischen auch«, gab sie zu. »Allerdings frage ich mich, wer dafür verantwortlich sein könnte. Der Teufel allein kann’s jedenfalls nicht sein.«
»Na ja, irgendwie vielleicht schon.«
»Was?«
Der Geselle schwieg verbissen, als würde er von einem geheimen Zauber getroffen, wenn er die Wahrheit offenbarte. Doch Christiane übte sich in Geduld. Er würde reden, davon war sie überzeugt. Warum sonst war er zurückgekommen, wenn nicht auf der Suche nach Gerechtigkeit? Weil ihn ein schlechtes Gewissen trieb, antwortete ihr eine innere Stimme. Und eine andere warnte: Weil er seinen Auftrag noch nicht erfüllt hat.
Christiane tauchte ein sauberes Leinentuch in das siedende Wasser und fragte sich, ob sie gerade im Begriff stand, die Wunden des Täters auszuwaschen. Vertraute sie womöglich dem Falschen?
»Au!« Karl schrie auf, als sie sich in seinem Gesicht zu schaffen machte.
Wenn er auf ihre Versorgung so zimperlich reagierte, war er wohl doch kein harter Kerl, dem drei Morde zuzutrauen waren. Unwillkürlich ging sie etwas sanfter zu Werke.
»Die Meitingerin war’s«, sagte Karl.
Christiane fiel der Lappen fast aus der Hand. »Wer?«
Er zwinkerte, um zu ihr aufzuschauen. »Na, die erste Frau vom Meister. Die verstorbene Meitingerin, versteht Ihr?«
Sprachlos nickte sie.
»Von ihr ist die Fluchtafel, die ich nach dem Tod des Meisters zwischen den Lettern versteckt gefunden habe. Ich erinnere mich ganz genau, dass ich das Bleitäfelchen mal bei ihrgesehen habe. Die Inschrift ist auf Latein, ich kann’s nicht lesen, aber es ist sicher, dass es mit einem Schadenszauber behaftet ist.«
Severin Meitinger hatte demnach mehr als ein Geheimnis vor Christiane gehütet. Ihr schauderte bei
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