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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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einem katholischen Kloster lag nicht so fern, wie sie es sich gewünscht hätte.
    Sie zog ein mit Lavendel parfümiertes Tüchlein aus dem Ärmel und hielt es sich elegant an die Nase, um nicht allzu unhöflich zu wirken. Der vorherrschende Geruch bereitete ihr Übelkeit. Es war ein durchdringendes Aroma aus Schwefel, irgendwelchen Säuren und Rosmarin, das sich mit menschlichen Ausdünstungen, deren Unterscheidungen sie gar nicht wissen wollte, und Essensdunst mischte.
    Energisch öffnete sie Türen, trat in Kammern, die mönchischen Einzelzellen glichen, und befand sich schließlich in einem großen Saal. An den Wänden waren Lagerstätten aufgereiht, die allesamt mit stöhnenden Kranken belegt zu sein schienen, am Kopfende sorgte ein Altar für den kirchlichen Beistand, neben dem Eingang stand ein Pult. Bader, Ärzte und deren Gehilfen eilten umher und beachteten die Besucherin nicht, offensichtlich in stetiger Eile und – meist wohl vergeblich – beschäftigt, Wunden zu versorgen, Schmerzen zu lindern und Gebrechen zu heilen.
    Zögernd trat Christiane näher. »Verzeihung«, wandte sie sich an einen jungen Mann, der wie ein Student aussah, der in diesem Hospital eine medizinische Ausbildung erhielt. »Es wäre sehr nett, wenn Ihr mir weiterhelfen könntet ...«
    Er blieb vor ihr stehen, irgendwelche bedrohlich wirkenden, chirurgischen Instrumente in der Hand, und sah sie verwundert an.
    Sie holte tief Luft, was ihrem Magen nicht bekam. Dennoch fragte sie tapfer: »Ich suche meinen Schwäher. Er ist verschwunden, und ich dachte, er könnte sich vielleicht hier aufhalten.«
    »Wendet Euch an den Spitalmeister oder den Schreiber«, erwiderte der junge Mann knapp. »Mehr kann ich leider nicht für Euch tun. Ihr seht, ich bin beschäftigt. Der Wundarzt benötigt meine Hilfe beim Blasenschneiden. Ein dringender Fall.« Er eilte weiter und überließ Christiane sich selbst, die nicht die geringste Ahnung hatte, wo sie die gewünschten Personen finden konnte.
    Nach einem weiteren Irrweg durch das Gebäude und mehreren Nachfragen bei nicht weniger beschäftigten Pflegern stand Christiane in einer kleinen, überhitzt und muffig wirkenden Schreibkammer, in der sich die Verwaltung befand. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn, und Übelkeit schnürte ihr die Kehle zu. Das Lavendeltüchlein hatte längst den vorherrschenden Duft angenommen und erfüllte seinen Zweck nicht mehr.
    Christiane wiederholte ihr Anliegen vor dem Spitalmeister, in der Hoffnung, endlich am Ziel angelangt zu sein und möglichst rasch mit dem alten Titus nach Hause gehen zu können.
    »Meitinger«, wiederholte ihr Gegenüber gedankenverloren und schlug ein ledergebundenes, dickes, in seiner Aufmachung einer Bibel ähnliches Buch auf, blätterte und suchte mit dem Finger in den Einträgen. »Einen Einkaufspfründer hat Euer Schwäher wohl nicht bezahlt«, stellte er fest, ohne seinen Blick zu heben.
    »Was?«
    »Alte, die einen Einkaufspfründer bezahlen und ihren Besitz der Stiftung vermachen, bekommen eine eigene Kammer«, erklärte der Spitalmeister. »Alle anderen werden im Saal untergebracht.«
    »Da ist er nicht. Ich bin die Betten abgelaufen. Da waren nur dahinsiechende Menschen ohne jegliche Aussicht auf ein weiteres Leben. Der Schwäher war nicht darunter.«
    »Ihr ward also im Krankensaal. Nun ja, es werden dort fast nur Bewohner des Spitals behandelt. Da wir uns der Versorgung alter Menschen annehmen, sind die Patienten meist recht gebrechlich. Ich meinte allerdings den großen Raum, in dem die Ehrwürdigen schlafen, die keine eigenen Kammern besitzen. Aber ich finde keinen Mann namens Meitinger in meiner Liste.«
    »Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen, und er hat seinen Namen vergessen.«
    »Dann wäre er bei den Unsinnigen untergebracht worden ... Wollt Ihr dort wirklich hinein?«
    Christiane sank das Herz. Natürlich hätte sie daran denken müssen, dass ein alter Mann, der seinen Verstand verloren hatte, in einem Irrenhaus untergebracht wurde. Die Vorstellung allerdings, ein solches betreten und Titus unter verwirrten, mit Tollheit und Narrensteinen belasteten Menschen suchen zu müssen, war schrecklich. Andererseits konnte sie ihn in der gefürchteten Umgebung kaum sich selbst überlassen. Sie zerdrückte das Tüchlein in ihrer Hand und nickte.
    Wenn Christiane später an diesen Tag zurückdachte, fielen ihr als Erstes die verwirrten Greise und Greisinnen ein, die, auf Bretter gebunden, dem traurigen Ende ihres Lebens entgegensahen.

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