Die Hüterin des Evangeliums
dem Gedanken, dass sich ihr Gatte mit Teufelswerk beschäftigt und Verschwörungsformeln gesammelt haben könnte. Karls Ausführungen klangen allerdings so, als sei Georg Imhoffs Schwester eine leibhaftige Hexe gewesen. Sicher war es Gottes Wille, dass sie der Pest erlag, aber womöglich war es auch ein Glück, bevor ein Henker den Scheiterhaufen zu ihren Füßen entzündete.
»Wo ist die Fluchtafel?«, wollte Christiane tonlos wissen.
»Wenn keiner in der Werkstatt aufgeräumt hat, ist sie noch dort. Als ich sie sah, hab ich mich so erschrocken, dass ich fortgelaufen bin. Ich schwör’s, Herrin. Aber dann habe ich bei mir gedacht, dass ich Euch nicht allein lassen kann mit der bösen Magie und all den anderen Sorgen.«
Dankbar tätschelte sie seine Schulter. Sie war nie abergläubisch gewesen. Natürlich glaubte sie nicht daran, dass ein hauchdünnes Stück Metall mit lateinischer Inschrift für so reale Dinge wie Schulden und Morde verantwortlich war. Was aber tat man mit einer Fluchtafel? Wie wurde man so etwas wieder los? Pater Ehlert fiel ihr ein. Der Jesuit kannte sich mit Teufelsaustreibungen aus, er würde ihr in dieser Sache helfen.
Erleichtert, wenigstens ein Problem halbwegs gelöst zu haben, wagte sie die nächste Frage: »Warum sollte die Meitingerin die Werkstatt verfluchen? Ich hörte, die erste Ehe meines verstorbenen Gemahls war sehr glücklich.«
»Ich will nicht klatschen, Herrin.«
»Tu’s trotzdem«, verlangte sie nüchtern und begann sich wieder an seinen Wunden zu schaffen zu machen.
»Es gab viel Gerede im Haus«, begann der Geselle zögerlich. »Natürlich war der Meister zufrieden mit seiner Frau, und sie war’s wohl auch, aber sie liebte einen anderen ... Das hat sie mal gesagt. Ich wollte damals nicht lauschen, ich hab’s zufällig gehört, weil ihre Stimme so laut war ...«
Christianes Herz blutete für ihren toten Gatten. Welch armer Mann, der nicht nur die Gunst seiner jungen, zweiten Gemahlin teilen musste, sondern auch die Zuneigung der ersten. Das hatte Severin nicht verdient. Er tat ihr unendlich leid.
»Deshalb kamen wohl auch keine Kinder ... Verzeihung, Herrin, das ist natürlich kein Thema für eine Dame.«
»Doch, doch, fahre nur fort.«
Karl atmete tief durch, dann: »Es gab Streit wegen der Religion, versteht Ihr?«
Das verwirrte Christiane mehr als die geheime Leidenschaft ihrer Vorgängerin. »Wieso? War die Imhoffin nicht katholisch wie ihr Bruder?«
Er rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. »Ich weiß nicht, Herrin ... ich ... Es ist so lange her, da kann die Wahrheit mir doch nicht schaden, oder?«
»Gewiss nicht.«
»Dann, also: Der Meister meinte, es sei Hexerei, was mit seinem Weib geschah. Sie ging zu heimlichen Versammlungen, bei denen vom Weltuntergang gepredigt wurde und einer neuen Ordnung und so etwas. Und ... und der Meister behandelte sie nicht mehr so freundlich, nachdem ... nachdem sie sich hatte taufen lassen.«
Die letzten Worte hatte Karl in sich hineingemurmelt, und deshalb waren sie kaum verständlich gewesen, doch Christiane hatte jedes einzelne in der Stille der Küche gehört, wo nur das Feuer im Ofen leise knisterte und sonst jedes Geräusch hinter sorgfältig verschlossenen Fenstern und Türenausgesperrt war. Es war so ruhig, dass sie glaubte, ihr Herz poche so laut gegen ihre Brust wie zuvor die Fäuste des Söldners gegen das Tor.
Sie konnte sich zwar keinen richtigen Reim auf das Geschehen machen, aber eine nebulöse Vorstellung ergriff von ihr Besitz. Der Schlüssel zur Wahrheit war offenbar Georg Imhoffs Schwester, die erste Frau Severin Meitingers, für die sich Christiane nie interessiert hatte. Hatte ihre Vorgängerin mit Antons Hilfe die Fälschungen gedruckt? Nein, das war nicht möglich, denn Sebastian Rehm hatte während seiner Ehe mit Martha daran gearbeitet, und wenn es eine Bekanntschaft zwischen Sebastian und der Imhoffin gegeben hätte, wäre sie irgendwann Martha begegnet. Die Pamphlete waren erst hergestellt worden, nachdem Severin verwitwet war. Dennoch gab es zwischen den betroffenen Personen eine Verbindung, die im Augenblick zwar noch nicht greifbar, so doch nicht von der Hand zu weisen war. Und es gab genau zwei Menschen, die über die Hintergründe Auskunft geben könnten.
Seltsam, dachte Christiane, es ist schon spät, und der Tag war belastend, aber sie hatte sich seit langem nicht mehr so wach gefühlt.
»Du kannst heute Nacht hier in der Küche bleiben«, entschied sie. »Und morgen wirst du
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