Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
Vom Netzwerk:
der Straße. Weiß der Himmel, was Imhoff zu diesem Hausfaktotum bewogen haben mochte. Letztlich ist das gleichgültig. Hauptsache, wir finden in diesem Gebäude die brisanten Texte deines Freundes Rehm. Gedulden wir uns also und nutzen die Zeit bis zum späten Nachmittag. Hoffentlich treffen wir wenigstens den Stadtbrunnenmeister an.«
    Einige Schritte gingen sie schweigend nebeneinanderher. Die Blicke vorbeieilender junger Mägde blieben schwärmerisch an Wolfgang Delius hängen, doch dieser ignorierte die Bewunderung. Er starrte auf die blank polierten Spitzen seiner Stiefel, lauschte dem Klappern seiner Absätze auf den Pflastersteinen. Der unerfreuliche Gedanke stellte sich ein, dass die Manuskripte, von denen Sebastian Rehm geschrieben hatte, gar nicht mehr existieren könnten. Vielleicht hatte der Schriftsteller sie verbrannt, als er den Tod nahen fühlte. Nein, fuhr es Wolfgang durch den Kopf, dann hätte er mir nicht geschrieben, dass er fürchtete, vergiftet zu werden. Seine Worte waren ein Hilferuf!
    »Warum hast du gefragt, ob Imhoff auf Reisen war?«, unterbrach Ditmold das gedankenverlorene Schweigen. »Wäre er in der Nähe der Posthalterei gewesen, hätten wir ihm begegnen müssen. Und wenn nicht, wäre den Wachen an den Stadttoren bekannt, ob und wann er Augsburg in den vergangenen Tagen verlassen hatte. Ich hätte mich schon noch danach erkundigt, glaub mir.«
    »Ja, stimmt. Tut mir leid. Ich wollte dir nicht ins Handwerkpfuschen. Ich dachte nur ...«, er brach achselzuckend ab, weil er sich eigentlich selbst nicht erklären konnte, warum er sich für Georg Imhoffs Reisegewohnheiten interessiert hatte.

22
    Unerwartet kräftige Sonnenstrahlen stachen Christiane in die Augen, als sie durch den Torbogen in die Siedlung der »Arme-Leute-Wohnungen« trat. Vor dem Eingang zur Fuggerei war der Himmel noch verhangen gewesen, ein paar Schritte weiter war es dann so dunkel, dass sie die Stiftertafeln im Eingang nicht einmal hatte entziffern können. In der Zeit musste die Sonne eine Lücke zwischen den Wolken gefunden haben, denn nun überflutete grelles Licht die Herrengasse.
    Sie kniff die Lider zusammen, zwinkerte und versuchte, ihren Vater inmitten der Handwerker auszumachen, die damit beschäftigt waren, keine fünf Fuß entfernt den Brunnen auszuheben, der die Anwohner mit Wasser versorgen sollte.
    Das stete Hämmern der Zimmerleute, die den ausgehobenen Schacht mit Holzbalken abstützten, und das Knirschen des Seils, das durch die Winde am Drehbock rollte und das gegrabene Erdreich nach oben beförderte, klangen unangenehm laut in ihren Ohren; die Stimmen der Männer, die sich Anweisungen zuriefen, und dazu die üblichen Geräusche einer lebendigen Wohnanlage dröhnten in ihren Schläfen.
    Doch waren es eigentlich nicht die Alltagsklänge, die für ihren Kopfschmerz verantwortlich waren. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf würde unter der Last der Gedanken zerspringen. Statt Antworten zu finden, tauchten immer neue Fragen auf.
    Warum etwa wusste Martha nichts von dem nach Frankfurt versandten Brief Sebastians? Wieso interessierte sich ein offensichtlich wohlhabender Verleger für die Texte eines weithinunbekannten Autors? Vor allem fürchtete Christiane einen Zusammenhang zwischen ihrer nächtlichen Entdeckung und dem Besuch der Fremden. Sie konnte sich zwar nicht erklären, was sie auf diese Idee brachte, aber sie glaubte nicht, dass alleine Nachforschungen über den Mord am Meitinger und ein unbekanntes Schreiben Sebastian Rehms die beiden zu ihr geführt hatten.
    »Tochter!« Hans Walsers Ausruf war nicht eitel Freude, sondern eher vorwurfsvoller Natur. Er löste sich aus der Gruppe seiner Männer. »Was willst du hier, Christiane?«
    »Es tut mir leid, wenn ich dich störe«, hob sie höflich an und massierte mit den Fingern ihrer rechten Hand ihre Nasenwurzel, um den Kopfschmerz ein wenig zu lindern. »Ich muss mit dir sprechen. Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?«
    Walsers Augen flogen zu dem ausgehobenen Brunnenschacht. »Jetzt? Siehst du nicht, dass ich bei der Arbeit bin. Ich habe keine Zeit für Geschwätz.«
    Er würde sich keine Elle fortbewegen, das war gewiss. Ihr Anliegen erschien ihm nicht wichtig genug, worum immer es sich auch handeln mochte. Christiane begann, sich über die Selbstgerechtigkeit ihres Vaters zu ärgern. Wenn er es nicht anders wollte, würde sie eben keine Diskretion walten lassen.
    Ihre Hand sank herab, und sie sah ihm fest in die Augen. »Warum hast du mir

Weitere Kostenlose Bücher