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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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wozu die Gesetze Meitingers Witib zwangen; zu viel anderes war seit Severins Tod geschehen, und sie hatte sich um alles, nur nicht um die Druckerei gekümmert.
    Ein fernes Grollen kündigte das erwartete Gewitter an. Dann zuckte ein erster Blitz. Christiane nahm es als Zeichen. Letztlich war einerlei, wann sie begann, ihre Pflichten wahrzunehmen – und wie lange sie dies überhaupt tun konnte. Sie wusste ja gar nicht, ob der Betrieb wegen der Schuldenlast nicht bald geschlossen würde. Und sie hatte auch noch nicht bedacht, welche Folgen die Schande mit sich brachte, in der eigenen Familie einen Mörder zu haben.
    Energisch stieß sie das Portal auf und trat, nass bis auf die Haut, in die Werkstatt. Vor dem Bild, das sich ihr bot, wich sie jedoch unverzüglich wieder zurück. Erstaunt erblickte sie Karl, der sich, die Augen reibend, unwillig von seinem Lager erhob. Offenbar hatte ihn das Knarren der Tür aus tiefsten Träumen gerissen.
    Von der einstigen Betriebsamkeit, die Christianes Alltag in Meitingers Haus mit stundenlangem Klappern und Stampfen begleitet hatte, war nichts mehr zu erkennen. Außer dem schlaftrunkenen Karl befand sich niemand in der Werkstatt, die Tagelöhner und Gehilfen waren ebenso ausgeflogen wie Lehrling Anton. Die beiden Pressen schienen bereits Staub anzusetzen, selbst die neue, mit einer Druckrolle betriebene Maschine, die geschwinder über das Papier fahren konnte, stand still. Nirgendwo hingen frisch bedruckte Bögen zum Trocknen aus, das zum Befeuchten der Blätter benötigte, teure Hundeleder war achtlos in einen Korb geworfen worden. Imschlimmsten Zustand befand sich jedoch der Setzkasten: Die in Christianes Erinnerung ordentlich aufbewahrten Bleilettern fielen auf dem großen, mit Tintenflecken übersäten Holztisch in der Mitte der Werkstatt wild durcheinander.
    »Was ist denn hier los?«, brach es aus ihr heraus. Sie ließ den Türgriff los, und das Tor fiel mit einem lauten Krachen hinter ihr ins Schloss. »Warum bist du nicht bei der Arbeit? Wo sind die anderen?«
    »Fort«, Karl gähnte. »Der alte Meister hat alle Leute nach Hause geschickt und den Lehrling entlassen.«
    Die Verzweiflung, die in Christiane gegärt hatte, verwandelte sich in Zorn. »Wie kann er es wagen ...«, fuhr sie auf, biss sich jedoch rechtzeitig auf die Unterlippe. Unbedachtheit war das Letzte, was sie in ihrer Situation gebrauchen konnte.
    Es stand dem alten Titus nicht zu, über ihren Kopf hinweg Entscheidungen zu treffen, es war aber nicht nötig, ihn deshalb einen Mörder zu schimpfen. Der Geselle sollte besser nichts von der Entwicklung der Dinge erfahren. Immerhin hatte sie selbst noch nicht die geringste Ahnung, wie sie mit ihrem neu erworbenen Wissen umgehen würde.
    Sie zwang sich zur Ruhe. »Und du?«, fragte sie gepresst. »Warum gehst du deiner Arbeit nicht nach?«
    »Kein Mensch kann ohne Hilfe das Druckerhandwerk ausführen, Herrin. Man braucht mindestens vier Hände, um die Presse zu bedienen.«
    Selbst wenn ich Severin ruiniert hätte, dachte sie grimmig, dann gibt Titus dem Ganzen nun den Rest. Wovon sollten sie leben oder auch nur ansatzweise die Schulden bezahlen, wenn die Druckerpressen stillstanden? Den Lehrling zu entlassen, wie es das Gesetz vorsah, war eine Sache – die Gehilfen fortzuschicken, eine Katastrophe.
    »Dann werde ich dir eben helfen«, beschloss sie. »Weniger Wissen als ein Tagelöhner habe ich nicht, dafür wohl abermehr Verstand. Schwing dich endlich auf, Karl, und lass uns das Papier einlegen.«
    Er sah sie von oben bis unten an, dann wanderten seine Augen wieder an ihrer Gestalt hinauf. »Mit Verlaub, Herrin, Ihr solltet Euch umziehen. Ihr seid vollkommen durchnässt. Am besten, Ihr fragt den alten Meister, was zu tun ist. Genau genommen ist nämlich keine Arbeit mehr da.«
    Verblüfft schwieg Christiane. Eine derart lange Rede hatte sie Karl nicht zugetraut. Sie war so erstaunt über die Sprache ihres Gesellen, dass sie den Inhalt seiner Worte anfangs nicht aufnahm. Auch bemerkte sie nicht gleich, wie sein Blick am Oberteil ihres Kleides hängenblieb. Die Regentropfen, die aus ihren Haaren und von der Witwenhaube perlten, hinterließen große Flecken auf ihrem Hemd, und ihre Brüste zeichneten sich unter der Feuchtigkeit deutlicher ab, als es ihr angesichts des jungen Mannes angenehm sein konnte. Mit einiger Verzögerung schlang sie die Arme um ihre Brust.
    Karl wertete ihre Sprachlosigkeit als Aufforderung und fuhr fort: »Seit alle Welt über den Tod des

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