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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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wusste nicht, dass Titus der Mörder war. Deshalb würde dem Schwäher nichts geschehen in dieser Nacht – jedenfalls nicht durch die Hand des Mannes, der Sebastian, Severin und Anton auf dem Gewissen hatte.
    »Nein«, sagte sie schließlich und wandte sich ihrem Begleiter wieder zu. »Nein, außer von einer Erkältung wird er sicher von nichts und niemandem bedroht. Wer sollte einem Alten wie ihm etwas schon antun wollen?«
    »Wenn Ihr meint ...«, im Schimmer des Lichts, das noch immer in Meitingers Treppenhaus brannte und flackernde Muster auf den feuchten Straßenbelag warf, konnte sie erkennen, wie Delius nickte.
    Ahnte er etwas? Warum setzte er ihr dermaßen zu? Titus genoss sicher die Gastfreundschaft des Zunftmeisters oder eines Freundes, den sie ohnehin nicht kannte. Ihm würde nichts geschehen. Nicht einmal dann, wenn er nicht der Mörder war. Zu ihrer eigenen Verwunderung spürte Christiane,wie sich Zweifel an Imhoffs Behauptung in ihrem Geist einnisteten. Wer anderes als Titus sollte aber der Mörder sein? Es hatte doch niemand sonst ein Motiv ...
    »Ihr solltet Euch schlafen legen«, sprach Delius in ihre Gedanken.
    Sie zuckte unter seinen Worten zusammen. Für einen Moment hatte sie seine Anwesenheit völlig vergessen. Nervös wischte sie sich über die Augen und trat in den Eingang zurück. »Ja«, murmelte sie zögernd, »das werde ich dann wohl tun ... Gute Nacht, Herr Delius«, fügte sie energischer hinzu, als fürchte sie, er würde ihr wieder zurück ins Haus folgen.
    Er hob seine Hand. Für den Bruchteil eines Herzschlags berührten seine Finger die feuchte Haarsträhne an ihrem Ohr. Seine Geste war so flüchtig, dass Christiane nicht sicher sein konnte, ob es Einbildung oder Realität war.
    »Es tut mir leid«, sagte er – und: »Ich komme wieder.«
    Verwirrt blieb Christiane am Tor stehen und sah ihm lange nach, obwohl sie seine Gestalt in der Dunkelheit mehr erahnen denn wirklich erkennen konnte. Erst als seine Schritte nur noch ein fernes Klappern waren, fiel ihr ein, dass sie ihm eine Laterne mit auf den Weg hätte geben sollen.

30
    »Sie ist eigensinnig, anmaßend und besserwisserisch«, behauptete Wolfgang Delius und schritt weiträumig aus, so dass sein Freund Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten, zumal den beiden Herren zahlreiche Passanten entgegenkamen.
    »Dann scheint sie eine kluge, vernünftige und beherzte Person zu sein«, erwiderte Bernhard Ditmold belustigt und wich einer Gruppe Söldner aus, die einen kirchlichen Würdenträger umringten, der mit einer Sänfte durch die breite Straße getragenwurde, die zum Verhandlungsort des Reichstages führte. Es war früher Vormittag, und der Bischof befand sich offensichtlich auf dem Weg zu einer neuen Sitzung von Fürstenund Kurfürstenrat.
    Wolfgang Delius nahm den Einwand seines Freundes nicht zur Kenntnis, achtete nicht einmal sonderlich auf die Betriebsamkeit um sich herum, sondern fuhr unbeirrt in seinem Monolog fort: »Ich habe mich nie zuvor dazu hinreißen lassen, ohne Erlaubnis in das Schlafgemach einer Dame einzudringen. Es ist unverzeihlich, dass ich es tat. Ich kann lediglich als Entschuldigung den Anblick des toten Jungen anführen, es hat mir den Verstand geraubt.«
    »Und – wie sah sie aus im Bett?«
    »Wie, bitte?«
    »Die Meitingerin. Wie sah sie aus, als du sie angetroffen hast?«
    Verblüfft blieb Delius stehen und blickte seinen Freund an, als habe dieser den Verstand verloren. Dabei übersah er einen Ritter mit einer Hübschlerin im Arm, dem er den Weg abschnitt. Das Pärchen strauchelte und fiel beinahe über ihn. Er ignorierte die Flüche und Drohungen des jungen Mannes und ging einfach weiter.
    »Bernhard, bitte, was soll das?«, fragte er den Assessor, nachdem er diesen wieder neben sich wusste. »Wir reden hier nicht über irgendeine schöne Frau, sondern über Meitingers Witib, die etwas verschweigt. Ich bin nicht auf Brautwerbung, sondern auf der Suche nach einem Mörder.«
    Sein Freund grinste. »Ich möchte es trotzdem gerne wissen: Wie sah sie aus?«
    »Wunderschön, aber das spielt doch ... Ach was ...«, Delius brach resignierend ab, machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte seinen Fußmarsch mit verschlossener Miene fort.
    Es war ihm nicht recht, mit welchem Spott Ditmold seinen nächtlichen Besuch bei Christiane Meitinger kommentierte. Sicherlich hatte er überreagiert, das stimmte schon, aber weder mit Humor noch mit Hohn war da etwas gutzumachen. Weder bei ihr noch bei ihm selbst.

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