Die Hüterin des Evangeliums
die Schriften, deren Existenz Sebastian Rehms Briefe belegen.«
»Es ist erfreulich, dass du meine Meinung teilst. Wenn wir die Texte finden, werden wir wahrscheinlich ohnehin auch des Täters habhaft werden.«
Delius seufzte. »Im Besitz von Georg Imhoff befindet sich jedoch nicht, wonach wir suchen. Und Martha Rehm weiß ganz gewiss nicht mehr als das, was sie uns sagte. Mir ist deshalb nicht ganz klar, was wir nun noch in dieser Sache ausrichten können.«
»Warte es ab. Die Nachricht, die Herr von Hallensleben mir zukommen ließ, klang äußerst vielversprechend. Komm, hier herein, ich glaube, das ist der richtige Eingang zur Bibliothek.«
Ditmold drückte eine Tür auf und trat in einen Flur, von dem eine Treppe in den ersten Stock hinaufführte. Nachdemer sicher sein konnte, dass sein Freund ihm folgte, schritt er voraus. Die beiden Männer schwiegen, das Klappern ihrer Absätze war das einzige Geräusch. Ein wenig atemlos und deshalb leise schnaufend blieb der Assessor vor einem Raum stehen. Er klopfte kurz an und trat ohne weitere Aufforderung ein.
Die Fugger-Bibliothek raubte Wolfgang Delius auf den ersten Blick den Atem. Spontan wünschte er, aus einem anderen, angenehmeren Grunde hier zu sein und die Zeit zu besitzen, sich in Ruhe umzusehen. Der Bestand an Büchern und Manuskripten schien enorm. Es war unverkennbar, dass sich die zum Teil offensichtlich sehr alten Werke in ausgezeichnetem Zustand befanden und hingebungsvoll gepflegt wurden. Wie gerne hätte er sich an einen der Schränke gestellt, seine Finger über die reich illustrierten und mit aufwendigen Malereien versehenen Buchrücken gleiten lassen, die Goldschriften nachgezeichnet und sich dann in den Inhalt der Folianten vertieft. Statt seinen Sehnsüchten nachzugehen, wandte er sich mit entschlossener Miene Conrad von Hallensleben zu. Der Gelehrte trat mit ausgebreiteten Armen auf seine Besucher zu.
»Willkommen in meinem kleinen Reich«, grüßte er. »Ich danke Euch, dass Ihr meiner Bitte so rasch nachgekommen seid, Herr Rat. Leider hält mich die Katalogisierung der Protokolle des Reichstags ein wenig auf, sonst hätte ich Euch in Eurem Gasthaus aufgesucht.«
»Dieser Besuch macht uns keine Umstände«, erklärte Ditmold lächelnd. »Im Gegenteil. Ich glaube sogar, meinen Freund Delius werdet Ihr nicht so bald wieder los.«
»Ihr seid Verleger aus Frankfurt, nicht wahr? Wir sind uns auf der Trauerfeier von Severin Meitinger begegnet.«
»Ich nehme an, der gewaltsame Tod des Druckermeisters ist auch der Grund unseres Hierseins«, erwiderte Delius, der das Gefühl nicht loswurde, dieses Gespräch so schnell wiemöglich hinter sich bringen zu müssen. Erst mit einem von allen bösen Erinnerungen unbelasteten Geist würde er die Betrachtung und Lektüre des Bibliotheksbestandes genießen können.
Conrad von Hallensleben nickte. »Wahrscheinlich hätte ich schon früher zum Reichserbmarschall gehen müssen, ich fühlte mich jedoch verpflichtet, das Andenken eines Freundes zu schützen. Diese Loyalität mag ein unverzeihlicher Fehler gewesen sein, es ist nur nicht anders erklärbar. Der gestrige Leichenfund hat mich wachgerüttelt.«
»Freundschaft ist ein enges Band, das nicht leichtfertig durchschnitten werden sollte«, pflichtete ihm Ditmold zuvorkommend bei.
»In der Tat, ja. Aber nachdem nun auch der Druckerlehrling umgebracht wurde, liegt die Sache wohl etwas anders: Die Gefahr für uns alle wächst, nicht wahr? Deshalb sehe ich mich gezwungen, ein Ehrenwort zu brechen ... Aber macht es Euch doch bitte erst einmal bequem. Ihr solltet mir nicht im Stehen zuhören. Nehmt hier auf diesen Stühlen Platz, bitte.« Von Hallensleben deutete auf zwei Sitzgelegenheiten, die sich unweit der Fenster und damit im Schein einer blassen Morgensonne befanden.
Nachdem sich seine Gäste schweigend gesetzt hatten, wandte sich der Bibliothekar zu seinem Pult und ergriff eine lederne Mappe, in der sich augenscheinlich lose Manuskriptseiten befanden. »Diese Aufzeichnungen kamen durch einen mir befreundeten Buchführer in meinen Besitz. Bitte, Herr Rat, seht sie Euch an. Es sind Texte verheerenden Inhalts – und sie tragen Meitingers Druckermarken«, die letzten Worte sprach er so leise, dass sie kaum hörbar waren.
Delius beobachtete von Hallensleben mit wachsender Verwunderung. Als er Fuggers Bibliothekar auf der Beerdigung von Severin Meitinger kennengelernt hatte, machte der Mannden Eindruck eines Gelehrten auf ihn, der sich sowohl seiner
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