Die Hüterin des Evangeliums
schweigend ab.
Der Bibliothekar schluckte schwer. »Ich wollte Euch folgendeÜberlegung mitteilen: Wenn der katholische Fürstenrat und der Kurfürstenrat den Protestanten Zugeständnisse machen, so ist dies ein schwerer Schlag für die Täufer, da deren Reformationsbestrebungen niemals anerkannt wurden. Jemand aus diesem Kreise könnte großes Interesse daran haben, das Werk Luthers zu diffamieren und eine gerechte Lösung bei den Verhandlungen zu hintertreiben.«
»Das hat durchaus Sinn«, entfuhr es Delius. Wo aber sollten er und Bernhard Ditmold die geheime Täufergemeinde Augsburgs ausfindig machen? Sie kannten kaum jemanden in der Stadt, mit einem Empfehlungsschreiben des Reichserbmarschalls war es auf der Suche nach Anhängern der verbotenen Religionsgemeinschaft nicht getan. Um der Sache auf den Grund zu gehen, benötigten sie langjährig gepflegte Verbindungen. Sie hätten mit Männern bekannt sein müssen, die im Vertrauen ein Geheimnis preiszugeben bereit waren, zumal es sich bei den Täufern vermutlich um Bürger handelte, die einiges Ansehen genossen. Nur ein gebildeter Mann würde schließlich auf die Idee kommen, zu seinem Zwecke eine neue geisteswissenschaftliche Bruderschaft zu gründen. Severin Meitinger war bestimmt kein Anabaptist gewesen, dessen war sich Wolfgang sicher, aber wie stand es um Sebastian Rehm? Er fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, Martha mit dieser Frage behelligen zu müssen.
Wieder senkte sich Stille über die drei Männer, jeder hing seinen Gedanken nach und wohl auch den Überlegungen nach den Konsequenzen. Nach einer langen Pause erhob sich Ditmold und verkündete: »Wir sollten den Eltern des Lehrlings einen zweiten Besuch abstatten ... Mir scheint, ich habe gestern Abend etwas übersehen.«
»Du warst bei Antons Eltern?«, wollte sein Freund verwundert wissen, als er nach dem Abschied mit ihm von der Bibliothek zurück zum Reiterhof ging.
»Irgendjemand musste den armen Leuten doch sagen, was mit ihrem Sohn geschehen ist. Du hattest in der Zwischenzeit ja anderes zu tun. Besseres, wie ich vermute«, fügte Ditmold hinzu und klopfte Delius väterlich auf die Schulter. »Trotzdem muss ich einräumen, dass du wahrscheinlich nicht übersehen hättest, was mir erst im Nachhinein auffällt.«
Der andere runzelte die Stirn. »Was soll das gewesen sein?«
»Ein Buch, mein Freund, ein Buch«, weitere Einzelheiten verriet der Assessor jedoch nicht.
31
Ziellos wanderte Christiane durch ihr Haus. Sie hatte nichts zu tun. Gar nichts. Und diese Untätigkeit begann ihr den Verstand zu rauben.
Sie hatte kaum geschlafen, nachdem Wolfgang Delius gegangen war. Antons Schicksal ging ihr nicht aus dem Kopf. Außerdem hatte sie die Sorge um Martha wach gehalten. Zwei oder drei Mal hatte ihre Cousine um Wasser gebeten, dann war sie wieder in die Besinnungslosigkeit gesunken, und Christiane konnte nur zu helfen versuchen, indem sie Martha kühle Umschläge auf die Stirn legte und ihren Körper immer wieder mit Weinbrand einrieb und mit Essigumschlägen abdeckte, wobei sie streng darauf achtete, dass die Kranke es trotzdem warm hatte. Auf diese Weise war es Christiane wenigstens möglich, ein hohes Fieber zu vermeiden.
Im Morgengrauen kam die Magd, die sich überraschenderweise bereit erklärte, die Kinderfrau zu ersetzen und sich um den kleinen Johannes zu kümmern, während die Hausfrau wichtigen Geschäften nachging, wie sie behauptete. Allerdings beäugte die Alte ihre Herrin mit wachsendem Unmut,da Christianes Umherwanderei nicht gerade auf dringende Angelegenheiten schließen ließ.
Christianes Lethargie hatte jedoch nichts mit Antriebslosigkeit zu tun, sondern vielmehr mit Hilflosigkeit. Nachdem sie das Kind in guten Händen wusste und die Magd darüber hinaus angewiesen hatte, regelmäßig nach Martha zu schauen, war sie voller Tatendrang in die Werkstatt gelaufen. Sie wollte Karl die traurige Mitteilung überbringen, aber auch besprechen, was zu tun sei, um die Druckerei wieder in Gang zu bringen. Doch Leere empfing sie. Karl war nicht da. Das Lager des Gesellen war unberührt. Die Maschinen, Tische, Pulte und Setzkästen waren eine einsame Mahnung an Meitingers Witib, aber auch eine deutliche Darstellung ihrer schlimmen Situation. Sie wusste sich keinen anderen Rat, als die Tore abzusperren und wieder zurück in ihre Wohnung zu gehen.
Tränen der Wut traten in ihre Augen. Dass nun auch Karl ohne ein Wort fortgelaufen war, zermürbte sie. Nicht, dass sie sonderlich viel
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