Die Hüterin des Schattenbergs
mit sich fort genommen. W as immer auch geschehen mochte, sie war bereit.
3
A ls Jemina erwachte, schimmerte der Nebel rings um die Stelle, an der sie sich niedergelassen hatte, in wundersamen violett und weiß leuchtenden Farben. Ganz still lag sie da, beobachtete die fließenden Farben und nahm mit jedem A temzug die A ura von Ruhe und Frieden in sich auf, die von ihnen ausging. Das Licht war von Schönheit und Harmonie geprägt. Es konnte keinen natürlichen Ursprung haben. Jemina staunte. W ie ein Kind, das zum ersten Mal einen Schmetterling sah, konnte sie den Blick nicht von dem T anz der Farben lassen. Sie fühlte sich geborgen und sicher, bereit den W eg zu gehen, der ihr vorherbestimmt war.
Langsam, zuerst fast unmerklich, begann sich der Nebel zu verändern. W ährend sich die Schwaden an einigen Stellen teilten, verdichteten sie sich an anderen, und ließen so ein kleines Heer geisterhafter Gestalten entstehen, die nur sehr entfernt Ähnlichkeit mit Menschen besaßen.
Groß waren sie. Mindestens zwei Ellen größer als Jemina, mit übergroßen Köpfen, in denen drei schwarze Löcher gähnten, wo A ugen und Mund hätten sein sollen. Die Köpfe waren oben breit und rund und liefen zum Kinn spitz zu. Sie waren von einer leuchtenden violetten Farbe und standen in starkem Kontrast zu dem blassen, fadenscheinigen Körper, der gemessen an dem wuchtigen Schädel viel zu lang und zu dünn erschien.
Nerbuks!
Jemina wusste, ohne nachzudenken, wer ihr da gegenüberstand. Ruhig wartete sie ab, was geschehen würde. A ls sich von einem der Geisterwesen zwei fadenartige T entakel mit tiefvioletten Spitzen lösten, die sich wie schwerelos auf sie zuschlängelten und sie sanft an der W ange berührten, zuckte sie instinktiv zusammen und versteifte sich. Die Berührung war kühl, fremd und unheimlich, aber es schwang nichts Böses darin und sie entspannte sich. Immer mehr Fäden schwebten nun heran und berührten sie.
Prüfend, fragend, suchend.
Auch ihr Bewusstsein blieb nicht verschont. Jemina fröstelte, als sich die unheimliche Kälte auch in ihrem Kopf ausbreitete, aber sie wehrte sich nicht dagegen. Mit angehaltenem A tem, die Zähne fest zusammengebissen, ließ sie die Berührungen ihres Geistes über sich ergehen. Die Nerbuks wollten sie kennenlernen und Jemina versuchte, ihnen wie guten Freunden zu begegnen. Sie hatte nichts zu verbergen. Nicht der A nflug eines Schattens trübte ihre Seele, dessen war sie gewiss.
Dann war es vorbei. Der letzte Nebelstrang löste sich von ihrer W ange. Ihr Geist war frei.
Komm!
Das W ort formte sich klar und deutlich hinter ihrer Stirn, obwohl niemand laut gesprochen hatte. Jemina gehorchte, ohne nachzudenken. Sie richtete sich auf und ließ es geschehen, dass die Nerbuks sie mit ihren T entakelarmen in die Mitte nahmen. A ls wäre sie selbst ein Geist, schwebte sie über die Lichtung, getragen von einer Kraft, die nicht die ihre war.
Für die Dauer eines A ugenblicks glaubte sie zu wissen, wie sich ein V ogel fühlte, wenn er vom W ind getragen über das Land dahinglitt – leicht und frei. Sie hätte ewig so weiterschweben können, aber die Prozession hielt schon bald inne und sie spürte wieder den Boden unter den bloßen Füßen.
Geh!
Die Lichtgeschöpfe glitten auseinander und bildeten ein Spalier, an dessen Ende der Eingang einer Höhle zu erkennen war. Jemina zögerte nur einen W impernschlag, dann ging sie auf die Höhle zu. A ls sie den Eingang erreichte, flammte an der W and wie durch Zauberhand eine Fackel auf. Jemina nahm sie aus der Halterung und trat in die Dunkelheit. Der Gang, der sich vor ihr auftat, war eng und so niedrig, dass sie an einigen Stellen den Kopf einziehen musste. W asser tropfte von der Decke. Die W ände glänzten feucht und ein modriger Geruch hing in der Luft. Es war deutlich kühler als draußen, aber nicht so kalt, dass Jemina fror. Und es war still. T otenstill. Jemina erschauderte. Die Dunkelheit schien alle Geräusche zu verschlucken, als läge ein Zauber über der Höhle. Sie konnte nicht einmal ihren eigenen A tem hören.
Jemina straffte sich und setzte den W eg fort. Den A rm gestreckt, hielt sie die Fackel so, dass sie immer ein Stück voraus schauen konnte. Im flackernden Feuerschein wand sich der Gang mal nach rechts und dann wieder nach links. Schließlich entdeckte Jemina Licht am Ende des T unnels. Langsam ging sie darauf zu, folgte einer scharfen Biegung und stand plötzlich am Eingang einer von Fackeln erhellten
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