Die Hüterin des Schattenbergs
wie er mit sich rang. Es war, als würden plötzlich zwei Herzen in der Brust des alten Magiers schlagen, eines, das sich vor dem A usbruch der Schatten fürchtete und ein anderes, das Corneus’ Macht fürchtete, und es nicht ertragen konnte, von ihm betrogen worden zu sein. »Dieser hinterhältige V erräter«, hörte er den Magier leise vor sich hin murmeln. »Ich hätte wissen müssen, dass er sich mit dem Beschluss des Rates nicht zufriedengeben würde. Ich hätte …« Er brach mitten im Satz ab und schaute Jordi an. »Erzähl mir alles«, forderte er Jordi auf. »Jede Kleinigkeit, an die du dich erinnerst, seit Corneus dich gefangen genommen hat. V on A nfang an.«
»Entkommen?«
Die T atsache, dass Corneus leise sprach und nicht, wie man es von ihm gewohnt war, seiner W ut über die nächtliche Störung laut und wortgewaltig freien Lauf ließ, ließ die W achen vor der T ür den A tem anhalten. Keiner von ihnen hätte in diesem A ugenblick mit dem Drachenreiter tauschen wollen, der den Meistermagier soeben aufgesucht hatte.
»Wo ist Salvias?«, herrschte Corneus den Drachenreiter an. In seinem Morgenmantel, das Haar wirr vom Kopf abstehend, wirkte er wenig furchteinflößend, aber sein Zorn verlieh ihm eine unheilvolle A ura.
»Salvias und sein Kamerad sind noch bei der Hohen Feste und suchen nach den beiden Flüchtigen.« Der Blick des Drachenreiters huschte unstet umher. Er versuchte, Haltung zu bewahren und sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen, schaffte es aber nicht, dem Meistermagier in die A ugen zu sehen.
»Wie konnten die beiden Eleven entkommen?« Corneus ging nicht auf die A ntwort des Drachenreiters ein.
»Offenbar erhielten sie unerwartet Hilfe von magischen W esen.«
»Magische W esen?«
»Salvias sagte etwas von einer leuchtenden Kugel, die die Eleven in sich aufnahm und mit ihnen in die Felswand hineinglitt.«
»Alrenath!« Corneus spie das W ort aus, als hätte es einen bitteren Beigeschmack. Für endlose A ugenblicke herrschte Schweigen, während er in seinem Gemach auf und ab schritt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt.
»Wo ist das Buch?«, fragte er schließlich. »Hat er wenigsten das Buch an sich nehmen können?«
»Welches Buch?«
Corneus fluchte leise und deutete zur T ür. »Verschwinde.«
Das ließ der Drachenreiter sich nicht zweimal sagen. Froh, dem aufgebrachten Meistermagier zu entkommen, machte er auf dem A bsatz kehrt und eilte zur T ür, aber Corneus rief ihn noch einmal zurück. »Warte!«
»Ja, Meister?« Die Stimme des Drachenreiters bebte.
»Du machst dich sofort auf den W eg zum Schattenberg«, befahl Corneus in einem T on, der keinen W iderspruch duldete. »Dort suchst du Meister Pretonias auf und richtest ihm aus, dass ich ihn unverzüglich sprechen will. Dulde keinen A ufschub, auch nicht, wenn er gerade mit seiner Buhle im Bett liegt. Ich will Pretonias spätestens heute Mittag hier in der Feste haben. V erstanden?«
»Verstanden!« Der Drachenreiter salutierte und griff nach dem T ürknauf. Kaum hatte er die T ür einen Spalt weit geöffnet, rief Corneus die W achen. Fast wäre der Drachenreiter mitten in der T ür mit den W achposten zusammengestoßen, die wie von einer W espe gestochen von ihren Plätzen neben der T ür aufgesprungen waren und in den Raum stürmten, das Gesicht ausdruckslos, die Furcht darin krampfhaft unterdrückt.
»Geh und wecke Meister Ulves«, sagte Corneus in mühsam beherrschtem T on zu einem der W achposten. »Ich will, dass er unverzüglich hierher kommt. Sag ihm, es gibt wichtige Neuigkeiten. Und beeile dich.«
Der Posten salutierte und machte sich sofort auf den W eg. Mit weit ausgreifenden Schritten eilte er an dem Drachenreiter vorbei, während der zweite Posten die T ür zum Gemach des Meistermagiers schloss und seinen Platz an der T ür wieder einnahm.
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D as ging aber schnell.« Corneus hatte sich des Morgenmantels noch nicht entledigt, als es an der T ür klopfte und Ulves den Raum betrat. Im Gegensatz zum Meistermagier war der Zeremonienmeister bereits korrekt angekleidet und wirkte nicht, als ob er eben aus dem Schlaf gerissen worden sei.
»Ich war schon wach.«
»So früh?«
»Die halbe Nacht.« Ulves seufzte. »Man wagte offenbar nicht, dich zu wecken, deshalb haben die W achen sich an mich gewandt.«
»Was ist passiert?« Corneus horchte auf.
Ulves zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Der Elev ist geflohen. Ich wünschte, ich könnte dir
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