Die Hüterin des Schattenbergs
etwas Schlaf gebrauchen.«
Ein harter Ruck ließ Jemina aus einem leichten Schlummer aufschrecken. A ugenblicklich war sie hellwach.
»Wir sind da!« In Salvias’ Stimme lag keine Freundlichkeit. Er hatte seinen Schwertdrachen auf der Plattform der Magierfeste landen lassen, dem Ort, wo ihre Reise zum Buch der Schatten begonnen hatte. Geschickt lenkte Salvias das Drachenweibchen unter das Gestell zwischen den beiden Leitern, während in einem Nebengebäude eine T ür aufgerissen wurde und vier Männer herbeigeeilt kamen, um dem Drachen den Sattel abzunehmen. Jemina nahm es nur beiläufig wahr. Der kurze Schlummer hatte ihre Sorgen für einen A ugenblick verdrängt. Nun kehrten sie mit Macht zurück. W ährend sie etwas unbeholfen vom Rücken des Drachen kletterte und die T reppe hinabstieg, versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen.
Sie besaß einen Stein, der zwar irgendwie magisch, aber nicht das Buch des Lebens war. Solange Corneus ihn aber für das Buch hielt, würde sie vor seinen Mordplänen sicher sein. Sie war in der Halle der A hnen gewesen. Solange alle glaubten, dass die verstorbenen Hüter ihr dort das geheime W issen übergeben hatten, würde der Rat auf einen Neunten Hüterzirkel bestehen und Corneus konnte seine Magie nicht anwenden. Damit hätte sie etwas Zeit gewonnen, um nach der Säule zu suchen und diese zu zerstören. Dabei kam ihr zugute, dass alle sie noch für eine »Reine« hielten. Niemand würde ihre Lügen durchschauen – zumindest so lange nicht, bis herauskam, dass der Schwund der Magie am Schattenberg durch den Neunten Zirkel nicht aufgehalten werden konnte.
Lügen. Nichts als Lügen.
Jemina erschauderte. Der Erfolg ihres V orhabens fußte auf einem brüchigen Gerüst von Unwahrheiten. Dennoch war sie bereit, das W agnis einzugehen. Das Gerüst musste ja nur so lange halten, bis sie die Säule gefunden und zerstört hatte. Bis dahin blieb ihr nichts anderes übrig, als zu Corneus zu gehen, den Dingen ihren Lauf zu lassen und zu hoffen, dass das Glück auf ihrer Seite sein würde.
Ein heftiger W indzug, gefolgt von dem Geräusch rauschender Schwingen, riss sie aus ihren Gedanken. A ls sie aufblickte, sah sie, dass auch das Drachenmännchen, das über der Feste gekreist hatte, gelandet war. Mit einer inneren Ruhe, die sie selbst erstaunte, beobachtete sie, wie Rik aus dem Sattel stieg und die T reppe hinunter auf sie zukam.
»Alles in Ordnung?«, fragte er mit einem misstrauischen Seitenblick auf Salvias.
Jemina nickte.
»Gut.« Rik nahm einen tiefen A temzug. »Und was jetzt?«
»Jetzt bringe ich euch zu Corneus«, antwortete Salvias, ohne gefragt zu sein. »Da wolltet ihr doch hin – oder nicht?«
»Doch, natürlich.« Jemina straffte sich und machte ein paar Schritte auf das Hauptgebäude zu. Dann drehte sie sich um und fragte: »Was ist los? W ollt ihr nicht mitkommen?«
Jemina und Rik folgten Salvias durch die verwinkelten Flure und Korridore der Feste. Der Drachenreiter ging schnell, grüßte niemanden und sprach kein W ort. Fast schien es, als wollte er die unangenehme A ngelegenheit schnell hinter sich bringen.
»Was hast du jetzt vor?«, flüsterte Rik Jemina zu.
»Ich werde einen Neunten Hüterzirkel ins Leben rufen«, erwiderte Jemina.
»Aber du wolltest doch keinen neuen …«
»Schscht!« Jemina warf Rik einen mahnenden Blick zu, deutete mit einem Kopfnicken auf die beiden Drachenreiter und zischte knapp: »Jetzt nicht.« Dann sagte sie lauter: »Ich werde Corneus das Buch des Lebens im T ausch für unser aller Leben anbieten. Er muss vor Zeugen dem Neunten Hüterzirkel zustimmen und mir zusichern, dass alle Eleven nach der W eihe unbehelligt nach Hause zurückkehren können.«
»Nach der W eihe?« Rik runzelte die Stirn, fragte aber nicht weiter nach.
Jemina war das nur recht. So vieles konnte noch schiefgehen, aber sie hatte sich für diesen W eg entschieden, und für eine Umkehr war es längst zu spät. Sie bogen in den Gang ein, in dem die Räume des Meistermagiers lagen. Jemina konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie hier zum ersten Mal entlanggegangen war. Eine Ewigkeit schien seitdem vergangen zu sein, obwohl es doch nur wenige T age waren.
Zielsicher hielt Salvias auf eine T ür zu, vor der zwei W achen Stellung bezogen hatten. A ls sie die drei Besucher kommen sahen, nahmen sie Haltung an und versperrten ihnen den W eg.
»Halt! W ohin?«
»Zu Corneus.«
»Wer verlangt das?« Die Posten machten keine A nstalten, den W eg freizugeben.
»Das
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