Die Hüterin des Schattenbergs
fort: »Wir fürchteten schon, dir sei in der Hohen Feste etwas zugestoßen.« Er legte Jemina beide Hände auf die Schultern, lächelte väterlich. »Mein Name ist Elaries und ich bin Mitglied des Rates. Es tut gut, dich bei Gesundheit zu sehen.«
»Ach, wirklich?« Rik schob sich zwischen den Magier und Jemina. Der scharfe Unterton war nicht zu überhören, aber Elaries ging nicht darauf ein.
»Sag, hattest du bei deiner Suche Erfolg, mein Kind?«, fragte er Jemina im Plauderton.
»Ich wollte Meister Corneus gerade berichten«, erwiderte Jemina, ohne die Frage zu beantworten.
»Ich verstehe.« Elaries nickte. »Dann sollten wir keine Zeit verlieren. Du musst wissen, dass Corneus voller Ungeduld auf deine Rückkehr wartet.« Jemina glaubte bei den W orten ein A ufblitzen in den A ugen des alten Magiers zu sehen, aber sie konnte es nicht einordnen.
»Folgt mir.« W ie selbstverständlich übernahm Elaries die Führung. A ls er an Salvias vorbeikam, blieb er kurz stehen. »Ich danke dir für deine Mühe, Drachenreiter. Es ist allein dein V erdienst, dass die Novizin bei ihrer Suche keinen Schaden genommen hat. Ich bin sicher, der Meistermagier wird sich zu gegebener Zeit dafür erkenntlich zeigen und entbinde dich von deinen A ufgaben. Ich werde die Novizin und ihren Begleiter zu Corneus führen.«
Salvias zögerte. Jemina spürte, dass es ihm nicht recht war, wie sich die Dinge entwickelten. A ber er hatte sich dem W illen des Magiers zu fügen. So deutete er eine V erbeugung an und sagte knapp: »Ich habe nur meine Pflicht erfüllt.« Dann drehte er sich um und eilte davon.
»Ein guter Mann«, meinte Elaries wie zu sich selbst, während er Salvias nachschaute. Dann wandte er sich wieder Jemina und Rik zu: »Dann wollen wir mal. Corneus wird sich freuen, euch zu sehen.«
6
I n Corneus’ Laboratorium herrschte an diesem Morgen eine höchst ungewöhnliche Betriebsamkeit. Hätten die T iegel und T öpfe, Folianten und Gerätschaften sprechen können, die hier ein halbes Leben lang in Stille und Einsamkeit ihr Dasein fristeten, sie hätten sich gewiss über das Scharren, Rumoren und Getuschel beklagt, das mit der A nkunft der Ratsmitglieder Einzug gehalten hatte.
Obwohl neben Ulves, Pretonias und Corneus nur sechs weitere Magier anwesend waren, nahm der Redefluss unter den A nwesenden kein Ende. Die allgemeine A nspannung entlud sich in hastig geführten Gesprächen, die von hektischen Gebärden begleitet wurden. Nicht wissend, ob es Grund zur Sorge oder Hoffnung gab, waren die sechs Ratsmitglieder Corneus’ A ufruf gefolgt, der sie für den dritten Glockenschlag nach Sonnenaufgang in die Kellergewölbe beordert hatte. Dort aber hatte zunächst das W arten begonnen, denn einer fehlte immer noch: Meister Elaries.
Drei Boten hatte Corneus schon ausgeschickt, um den säumigen Magier aufzuspüren, aber nur einer hatte ihn angetroffen und soeben die Nachricht überbracht, dass Elaries etwas später kommen würde.
»Nun denn, wie es scheint, hat der hochverehrte Elaries W ichtigeres zu tun, als Selketien vor der Finsternis zu bewahren.« Mühelos gelang es Corneus, die W orte gleichzeitig höhnisch und enttäuscht klingen zu lassen. »Die Zeit drängt«, sagte er bestimmt. »Fangen wir an.«
Augenblicklich wurde es so still, dass man jeden Atemzug hören konnte. A lle A ugen waren auf Corneus gerichtet, der sich mit bedeutsamer Miene vor dem Labortisch aufgebaut hatte. »Gestern A bend und im Morgengrauen erreichte mich gleich zweimal betrübliche Kunde«, begann er mit vollendet gespieltem Bedauern in der Stimme. »Kurz vor Sonnenaufgang brachte ein Drachenreiter Meister Pretonias vom Schattenberg hierher, der höchst beunruhigende Neuigkeiten zu berichten wusste.« Er deutete auf Pretonias. »Aber hört selbst.«
Pretonias nickte Corneus zu und trat vor. »Wie ihr alle wisst, schwindet die Magie des Schattenbergs seit dem T od der Hüter unaufhörlich«, begann er, ohne sich mit einer langen V orrede aufzuhalten. »Bisher verlief der Schwund langsam und so gleichmäßig, dass es mir möglich war, zu errechnen, wie viel Zeit noch verbleiben würde, bis die Schatten die magischen Barrieren überwinden können. Gestern A bend jedoch kam es zu einem überraschenden Erbeben der Macht. A uf einen Schlag nahm die schützende Magie so bedrohlich ab, dass alle meine Berechnungen zunichte gemacht wurden.
Ich habe mich sofort auf den W eg gemacht, um Corneus dies mitzuteilen, denn ich fürchte, dass uns kaum mehr zwei
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