Die Hüterin des Schattenbergs
weil Corneus bei allem, was mit dem V erschwinden der Hüter zusammenhing, strikte Geheimhaltung angeordnet hatte.
Die Nachricht, dass Meister Pretonias kurz nach Sonnenaufgang mit einem Drachenreiter vom Schattenberg angekommen war und sich sofort auf den W eg zu Corneus gemacht hatte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Doch obwohl einige daraufhin meinten, dass die Schatten aus dem Berg zu entkommen versuchten, fanden sich dafür keinerlei Beweise. So blieb den jungen Magiern und Präparanden nichts anderes übrig, als weiter zu spekulieren und auf ihre innere Stimme zu hören, die ihnen sagte, dass große V eränderungen bevorstanden.
»Ich muss zugeben, deine plötzliche Eile wirkt auf mich etwas befremdlich.« A uf der Stirn von Meister Pretonias zeugten tiefe Falten davon, wie besorgt er war. Unmittelbar nach seiner A nkunft hatte Corneus ihn von einem Bediensteten in den Keller führen lassen, ihn in einem Nebenraum seines Laboratoriums empfangen und über den neuen Stand der Dinge unterrichtet. »Natürlich wird die Magie des Schattenbergs vergehen, wenn es keinen neuen Zirkel gibt. Und ja, die Schatten scheinen sehr wohl zu spüren, dass die Mauern ihres V erlieses dünner werden. Unermüdlich stürmen sie dagegen an, aber noch hält Orekhs Zauber ihnen stand und das wird sicher auch noch zehn oder fünfzehn T age so bleiben.«
»Die Novizin ist tot, Pretonias!«
»Hast du Beweise?«
»Ein Drachenreiter überbrachte mir in der Nacht die traurige Nachricht. Er berichtete, dass Jemina und dieser Rik die Hohe Feste betreten hätten, um das Buch des Lebens zu suchen. Die Drachenreiter warteten vor dem T or auf die Rückkehr der Novizin, aber nichts geschah. Nachts waren dann aus der Feste furchtbare Schreie zu hören – T odesschreie!« Corneus machte eine bedeutungsvolle Pause. Dann seufzte er wie jemand, der gerade über eine folgenschwere Niederlage zu berichten hatte, senkte die Stimme und fuhr fort: »Wir haben uns getäuscht, mein Freund. Ich habe mich getäuscht. Meine Hoffnung, dass die W esen, die das Buch des Lebens bewachen, einer von den Nerbuks geweihten Novizin Einblick in das Buch gewähren würden, hat sich nicht erfüllt. Sie ist gescheitert, wie schon so viele zuvor. W ir müssen davon ausgehen, dass sie und ihr Begleiter ihren Mut mit dem Leben bezahlt haben.«
»Hast du es mit einem Findezauber versucht?«, erkundigte sich Pretonias.
»Natürlich.« Corneus tat entrüstet. »Aber ich erfuhr nur, dass sich die Novizin tatsächlich noch in der Hohen Feste befindet. Ob sie noch lebt oder schon tot ist – das solltest du eigentlich wissen – verrät der Findezauber nicht.«
»Du hast wie immer recht. V erzeih mir die Zweifel.« Nun war es Pretonias, der seufzte. »Aber du kennst mich und weißt, dass ich ein Mann der W ahrheit bin. W enn ich die Dringlichkeit der Bedrohung durch die Schatten schlimmer darstelle, als dies der Fall ist, damit du deinen Zauber wirken kannst, möchte ich Gewissheit haben. W ie alle hier habe auch ich deinen Plänen nur unter der Bedingung zugestimmt, dass es wirklich keinen anderen A usweg gibt – und diese Bedingung gilt auch heute noch.«
»Darauf hast du mein W ort.« Corneus legte Pretonias in einer kameradschaftlichen Geste die Hand auf die Schulter. »Ich respektiere den Ratsbeschluss, und würde den Schritt niemals wagen, wenn noch ein Funken Hoffnung bestünde. Da aber niemand von uns sagen kann, wie lange die schwindende Hütermagie noch Bestand hat, ist mir ein rasches Handeln nun die einzige Möglichkeit.« Er schaute Pretonias von der Seite her an. »Wir wollen uns doch später nicht vorwerfen lassen, zu lange gezögert zu haben – oder?«
»Nein, natürlich nicht.«
Corneus konnte förmlich spüren, wie auch Pretonias’ letzter, zaghafter W iderstand brach. Er lächelte. »Dann sind wir uns also einig?«
»Ja.« Pretonias nickte. »Sobald der Rat vollständig versammelt ist, werde ich ihm in deinem Sinne von der Lage am Schattenberg berichten.«
»Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.« Corneus nickte Pretonias wohlwollend zu und wechselte abrupt das T hema. »Ich habe mir erlaubt, in meinen Gemächern ein etwas verspätetes Morgenmahl für dich auftragen zu lassen. Ein Diener wird dich hinführen, wenn du magst. Ich habe hier noch einige V orbereitungen zu treffen und schicke dir einen Boten, wenn alles bereit ist.«
»Das A ngebot nehme ich gern an.« Pretronias gähnte hinter vorgehaltener Hand. »Ich könnte noch
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