Die Hüterin des Schattenbergs
und wies die W achen am T or durch Rufe an, ihn einzulassen.
So schnell es Inerias in seiner langen Kutte möglich war, eilte er die hölzernen Stufen zum T or hinab, um den Reiter im Innenhof in Empfang zu nehmen. Der Umhang des Gardisten war staubig, sein Pferd von flockigem Schweiß bedeckt. Er schien der Ohnmacht nahe und hielt sich nur mühsam im Sattel. Der V ersuch, die Hand zum Gruß an die Stirn zu legen, scheiterte kläglich. Ihm fehlte selbst die Kraft, allein vom Pferd zu steigen.
»Schnell, helft dem Mann aus dem Sattel und gebt ihm etwas zu trinken!«, wies Inerias die W achen an und packte einen der Männer an der Schulter: »Du führst das Pferd in die Stallungen und sorgst dafür, dass es versorgt wird, ehe es tot umfällt.«
Die W achen widersprachen nicht. Nachdem er getrunken hatte und in der W achstube des T orhauses wieder zu A tem gekommen war, kehrte Leben in den Gardisten zurück. »Ich … ich bringe eine wichtige Nachricht für Corneus, den Meistermagier«, presste er mühsam hervor. »Ich muss … zu ihm. Sofort.«
»Willst du dich nicht erst noch etwas ausruhen?«, fragte Inerias besorgt.
Der Gardist schüttelte den Kopf. »Später. Es ist wichtig.«
Inerias zögerte. »Nun, ich bin mir nicht sicher, ob Corneus sein Schlafgemach schon verlassen hat.«
»Dann weckt ihn!«
»Ich weiß nicht, ob das klug…«
»Weckt ihn, verdammt!«, beharrte der Gardist in aufbrausendem T onfall. Doch schon im nächsten Moment seufzte er und fuhr sich mit den Händen müde über die A ugen. »Was ich ihm zu berichten habe, duldet keinen A ufschub.«
»Nun, wenn das so ist …« Inerias erhob sich und ging zur T ür. »Folge mir.«
Corneus saß beim Morgenmahl, als es klopfte.
Er hatte unruhig geschlafen und war schlechter Laune. Das Letzte, wonach ihm der Sinn stand, war Besuch. So ließ er sich Zeit, die W artenden hereinzubitten.
Während er mit den Fingern Beeren von einer Rebe pflückte und sie zusammen mit Häppchen gebratener T aubenbrust verspeiste, wanderte sein Blick zu dem Porträt in verblichenen Farben, das jede nach Osten gerichtete W and in der Feste der Magier zierte. Es zeigte einen Mann mit schlohweißem Haar und ebensolchem Bart, der ihm zulächelte wie ein V ater seinem Sohn. Orekh, der größte Magier aller Zeiten, war auch acht Generationen nach seinem Dahinscheiden noch überall präsent.
Zu präsent, wie Corneus fand. Er hasste den Kult, der aus dem begnadeten Magier im Laufe der Jahre einen Heiligen gemacht hatte. A n Orekhs glorifizierten T aten und Fähigkeiten wurde jeder angehende Meistermagier gemessen. Und keiner hatte dabei auch nur den Hauch einer Chance, jemals aus Orekhs Schatten heraustreten zu können.
Andererseits kam selbst Corneus nicht umhin, Orekh, wenn auch zähneknirschend, dankbar zu sein, denn das fürstliche Leben, das die Magier seit Generationen führten, hatten sie nicht zuletzt dem verehrten Meister zu verdanken, der mit seinem Schattenzauber den Grundstein dafür gelegt hatte.
Corneus warf Orekhs A bbild einen finsteren Blick zu. Dankbarkeit hin oder her; hätte er darüber zu entscheiden, wären die Bilder des Magiers längst im Feuer zu A sche verbrannt. Dieser W unsch war fast so alt wie er selbst. Schon in seiner Kindheit, die er als Präparand bei den Magiern verbracht hatte, war es ihm zuwider gewesen, mit den W orten: »Der große Orekh wäre stolz auf dich«, gelobt zu werden. Später dann hatte er sich strikt geweigert, Orekhs Namen in seine Gebete einzubinden und einmal hatte er sogar eine Strafe von zehn T agen im gefürchteten Dunklen T urm der Feste absitzen müssen, weil er Orekhs Bild in seinem Schlafgemach von der W and genommen und im hintersten W inkel seiner Kleidertruhe versteckt hatte.
Bevor er vor sieben Sommern von den anderen Ratsmitgliedern zum Meistermagier gewählt wurde, hatte er immer wieder versucht, Orekh von seinem heiligen T hron zu stoßen. Doch vergeblich. Zu groß war die Ehrfurcht der Selketen vor dem Mann, der den blutigen Krieg zwischen den Selemiten und den Ursketen beendet und beiden V ölkern den Frieden gebracht hatte.
»Dir wird das Lachen noch vergehen.« Corneus verzog die Lippen zu einem siegesgewissen Grinsen. »Ich bin besser als du. V iel besser, auch wenn der Hohe Rat der Magier es nicht wahrhaben will. Diese Narren! Irgendwann werden sie zu mir kommen und mich um Hilfe anflehen. Dann wird mein Bild die Ostwände der Feste zieren.« Er nickte bedächtig. Irgendwann, das fühlte er,
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