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Die Hüterin des Schattenbergs

Die Hüterin des Schattenbergs

Titel: Die Hüterin des Schattenbergs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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»Da habt ihr aber noch ein gutes Stück W eg vor euch«, sagte er mit altersbrüchiger Stimme. »Du bist ein guter Junge. Galdez kann stolz auf dich sein.«
    »Das ist er auch.« Rik beschleunigte seine Schritte. »Ich wünsche dir noch einen schönen T ag.«
    »Den wünsche ich dir auch«, erwiderte der A lte mit einem leichten Kopfnicken. »Gepriesen seien die Hüter und die Magier. Mögen sie die Schatten auf ewig von uns fernhalten.«
    Rik schluckte die A ntwort herunter, die ihm auf der Zunge lag. Er konnte diesen Spruch nicht mehr hören. W enn die Menschen die Hüter priesen, wäre es für ihn zu verstehen gewesen. A ber die Magier? Er schnaubte verächtlich. Für ihn waren die Magier nichts weiter als eigennützige Herrscher, die ihr V olk ausbeuteten. Sie beanspruchten den Großteil der Ernte für sich, das W ild in den W äldern, das V ieh der Bauern und schreckten auch nicht davor zurück, sich die schönsten Frauen auszuwählen. W ährend den gewöhnlichen Menschen gerade so viel zum Leben blieb, dass sie nicht verhungerten, lebten die Magier in W ohlstand und Überfluss.
    Rik konnte nicht verstehen, warum die Bewohner von Selketien nicht aufbegehrten und mehrRechte einforderten. Stattdessen priesen sie die Magier als Befreier und Bewahrer des Friedens, ohne zu bemerken, dass sie dafür einen hohen Preis zahlten.
    Vor ein paar Jahren schon hatte er Galdez gefragt, warum die Menschen sich so viel gefallen ließen. Galdez schien die Frage nicht verstanden zu haben: »Die Menschen in Selketien sind so. Sie sind glücklich. Es gibt keinen Grund, sich darüber Gedanken zu machen«, hatte er gesagt und das T hema gewechselt. Rik hatte sich damals fest vorgenommen, es irgendwann noch einmal anzusprechen, aber jetzt war es dafür zu spät.
    »Was ist mit dir?«, unterbrach Jemina, die neben ihm herschritt, seine Gedanken. »Stimmt etwas nicht? Du siehst so … so traurig aus.«
    »Es sind die Menschen«, antwortete Rik. »Findest du nicht, dass sie sehr arm sind?«
    »Nein.« Jemina schüttelte den Kopf. »Ich finde, sie sind reich. Sie leben in Frieden und Harmonie zusammen und besitzen damit die höchsten Güter dieser W elt.«
    »Was ist mit ausreichend zu Essen, sauberer Kleidung und Häusern, die den Regen abhalten?«, fragte Rik. »Frieden und Harmonie sind gut und schön, aber haben die Leute nicht auch ein Recht auf ein menschenwürdiges Dasein?«
    »Sie sind zufrieden«, erwiderte Jemina ernst. »Es stimmt, sie führen ein hartes und entbehrungsreiches Leben, aber das ist das Leben, wie es schon unsere V äter und V orväter geführt haben. Sie kennen es nicht anders und wünschen sich nicht mehr. Deshalb sind sie zufrieden«
    »Eben!« Rik schaute Jemina eindringlich an. »Du sagst es. Sie leben wie unsere V äter und V orväter. W o ist der W unsch, sich weiterzuentwickeln? Der Sinn für das Unrecht, das ihnen angetan wird?«
    »Warum etwas ändern, mit dem alle zufrieden sind?« Jemina schüttelte den Kopf.
    »Aber sie müssen doch nicht so leben«, versuchte Rik zu erklären. »Die Felder bringen gute Ernte und das V ieh gedeiht prächtig. Es würde für einen bescheidenen W ohlstand reichen. A ber die Magier lassen das nicht zu. Sie nehmen den Menschen viel zu viel weg.«
    »Die Magier beschützen uns vor den Schatten.« Jemina schaute Rik stirnrunzelnd an. »Sie sind es, denen wir den Frieden und die Harmonie im Land zu verdanken haben. Das können wir ihnen gar nicht genug vergelten. Ich finde es nur gerecht, dass sie dafür von allem ihren A nteil bekommen.«
    »Das finde ich ja auch«, stimmte Rik ihr zu. »Aber doch nicht so viel.« Er zögerte, weil er spürte, dass Jemina ihn nicht verstand. Früher, als er noch ein Knabe gewesen war, hätte er es auch nicht verstanden. Damals war er wie sie gewesen, zufrieden und blind für die Dinge, die im Land vor sich gingen. Der W andel hatte begonnen, als er zum Mann geworden war. Langsam, fast unmerklich, hatte sich nicht nur sein Körper, sondern auch sein Geist verändert.
    Immer öfter hatte er Ärger verspürt, eine Eigenschaft, die außer ihm niemand zu besitzen schien. Ärger über die alltäglichen Ungerechtigkeiten, Ärger über die Menschen, die nicht spürten, dass ihnen Unrecht geschah und Ärger über Galdez, der ihn ständig ermahnte, seine Gefühle im Zaum zu halten, weil man ihn sonst für einen Unreinen halten und gefangen nehmen könnte.
    Rik hatte lange gebraucht, um anzunehmen, dass er anders war. Noch länger hatte er gebraucht,

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