Die Hüterin des Schattenbergs
»Ich denke, es ist besser, wenn nicht alle von uns zu Corneus gehen.«
»Warum?«
»Weil wir dann zu viel Zeit verlieren«, erwiderte Rik. »Die Kleinen sind tapfer, aber völlig erschöpft. W enn wir zu Fuß weitergehen wollen, müssen wir in der Hütte übernachten. Dann erreichen wir die Feste frühestens morgen Mittag. W enn wir beide allein dorthin reiten, könnten wir noch heute vor Einbruch der Dunkelheit dort sein.«
Er schaute Jemina eindringlich an. »Ich habe darüber nachgedacht. Es ändert nichts, ob Corneus die Nachricht von uns allen erfährt oder nur von uns beiden. W eil wir nicht wissen, wie viel Zeit uns bleibt, muss Eile unser vordringliches Gebot sein. Deshalb habe ich beschlossen, mit dir zur Feste zu reiten und die anderen in der Hütte zurücklassen. Dort sind sie sicher und gut versorgt, bis wir zurückkehren.«
Jemina runzelte die Stirn. W as Rik sagte, klang vernünftig, aber sie fühlte sich für die jüngeren Eleven verantwortlich. Es wäre ihr lieber, wenn die Gruppe beisammen bleiben würde.
»Ich werde es den anderen vorschlagen, sobald wir die Hütte erreicht haben«, fuhr Rik fort. »Es wäre schön, dich auf meiner Seite zu wissen. W as meinst du?«
»Du hast recht«, Jemina nickte. »Wir sollten keine Zeit verlieren.«
»Danke.« Riks Lächeln zauberte ihr ein Gefühl von tanzenden Schmetterlingen in den Bauch. »Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
Die meisten Eleven waren erleichtert, als sie bei der A nkunft an der Hütte hörten, dass die Reise für sie an dieser Stelle ein vorläufiges Ende fand. V or allem die Jüngsten waren am Ende ihrer Kräfte und dankbar, endlich ausruhen zu können. Rik lud sie ein, sich in der Hütte wie zu Hause zu fühlen und zeigte ihnen alles Nötige. Dann ging er los, um die Pferde von der W eide zu holen, während Jemina sich vor die Hütte auf eine Bank setzte und wartete.
Jordi gesellte sich zu Jemina. »Ich möchte nicht hier bleiben«, sagte er nach einem kurzen Moment des Schweigens. »Ich möchte mit euch zur Feste reiten.«
»Bis du denn gar nicht erschöpft?«
»Nein.« Jordi schüttelte den Kopf.
»Aber wir haben nur zwei Pferde.«
»Ich wiege kaum etwas. Ein Pferd kann uns beide mühelos tragen.«
»Ich weiß nicht.« Jemina hatte reiten gelernt, aber Efta hatte keine eigenen Pferde besessen und sie kannte sich kaum im Umgang mit den T ieren aus. A ußerdem bestand die Gefahr, dass nun doch alle mit zur Feste wollten, wenn sich herumsprach, dass Rik für Jordi eine A usnahme machte.
»Es ist besser, du fragst Rik«, antwortete sie zurückhaltend.
»Mit A nnah, meiner großen Schwester, bin ich oft zusammen geritten«, sagte Jordi mit einem A nflug von T rauer in der Stimme. »Sie besaß ein eigenes Pony und ich durfte hinter ihr sitzen.« Er schaute Jemina von der Seite her an. »Du erinnerst mich sehr an sie«, sagte er.
Jemina wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. A us den A ugenwinkeln sah sie Rik mit den Pferden zurückkommen und sagte schnell: »Da kommt Rik. Besser, du fragst ihn gleich, dann hören die anderen es nicht.«
Jemina erfuhr nicht, was Jordi Rik erzählte. Es musste jedoch sehr überzeugend gewesen sein, denn als die beiden zu ihr kamen, strahlte Jordi über das ganze Gesicht: »Rik sagt, dass ich mitkommen darf.«
Sie waren gerade dabei, die Pferde zu satteln und den Proviant in den Packtaschen zu verstauen, als eine Staubwolke am Ende des W egs einen Reiter ankündigte.
»Wer kann das sein?« Jemina unterbrach die A rbeit und trat neben Rik, der dem Reiter aufmerksam entgegensah.
»Es ist einer von Corneus’ Männern«, antwortete Rik. »Er trägt den violetten Umhang mit dem W appen des Meistermagiers.«
»Was mag er hier wollen?«
»Keine A hnung.« Rik ließ den Reiter nicht aus den A ugen. »Ich vermute, er will zu Galdez.«
»Wirst du ihm erzählen, was passiert ist?«, fragte Jemina.
»Nein.« Rik schüttelte den Kopf. »Das sage ich nur Corneus persönlich.«
Der Reiter schien es eilig zu haben. Nur wenige A ugenblicke nachdem sie ihn entdeckt hatten, zügelte er sein Pferd vor Jemina und Rik und fragte grußlos: »Wo finde ich Galdez?«
»Er ist nicht hier«, gab Rik ebenso grußlos A ntwort. Jemina spürte, dass er um einen gleichmütigen T onfall bemüht war, hinter dem er seine wahren Gedanken und Gefühle verbarg. »Wo ist er?«, wollte der Reiter wissen.
»Am Nebelsee.«
»Was tut er dort?«
»Er trifft sich mit den anderen Hütern.«
»Und wann
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