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Die Hüterin des Schattenbergs

Die Hüterin des Schattenbergs

Titel: Die Hüterin des Schattenbergs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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verneigte sich und lief davon.

    Kurze Zeit später wurde die T ür erneut geöffnet und ein hagerer Mann, dessen kurz geschnittener Bart von silbernen Strähnen durchzogen war, betrat den Raum. Er war einen halben Kopf kleiner als Corneus und trug das schmucklose A lltagsgewand der Magier, eine schlichte hellgraue T unika, die bis zum Boden reichte und um die T aille von einer einfachen Kordel gehalten wurde. Die Füße steckten in aufgetragenen Riemenschuhen aus Leder, die früher einmal braun gewesen sein mussten.
    »Ihr habt mich gerufen, Meister Corneus?«, sagte er mit ruhiger, wohlklingender Stimme, während er den Elev und die Novizin aufmerksam musterte.
    »Sei gegrüßt, Ulves, mein Freund.« Corneus deutete auf den Stuhl neben der Novizin. »Setz dich zu uns. Meine jungen Gäste haben Fragen, die du ihnen sicher beantworten kannst.«
    »Nun denn …« Ulves nickte Rik und Jemina freundlich zu, während er Platz nahm. »Was gibt es?«
    Rik öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen, aber Corneus war schneller: »Die beiden sind Eleven«, beeilte er sich zu erklären. »Wir unterhalten uns gerade darüber, ob die Prüfung der Eleven auf Doh-Jamal unabdingbar dafür ist, dass ein Elev ein Hüter werden kann. Die Hüter scheinen davon überzeugt zu sein. Ich aber behaupte, dass die Prüfung durch die Nerbuks heute nicht mehr wichtig ist, weil es keine Unreinen mehr unter der Bevölkerung gibt. Deshalb kann ein Elev auch dann die Nachfolge eines Hüters antreten, wenn er die Prüfung nicht abgelegt hat.«
    Er maß den Zeremonienmeister mit einem langen Blick. Ulves war sein Freund und engster V ertrauter. V or einer halben Ewigkeit waren sie gemeinsam in der Feste der Magier als Präparanden aufgenommen worden und hatten wie selbstverständlich zueinandergefunden. Corneus hatte damals sofort gespürt, dass der zurückhaltende Ulves seine forsche und selbstbewusste A rt bewunderte und es geschickt verstanden, ihn an sich zu binden. Diese Bindung hatte sich im Lauf der Jahre für beide als vorteilhaft erwiesen und weiter gefestigt.
    »Du, werter Ulves, hast die Überlieferungen des großen Orekh wie kein anderer studiert und schon viele Novizen zum Hüter geweiht. Sicher kannst du uns sagen, wer recht hat.«
    Ulves legte nachdenklich die Hand ans Kinn. »Nun«, begann er gedehnt. »Die Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Ich würde sagen, beide Seiten haben auf ihre W eise recht.«
    »Beide?«, fragten Rik und Jemina wie aus einem Munde.
    Ulves ließ sich mit der A ntwort Zeit. »Es ist natürlich so, wie Corneus gesagt hat. Heute gibt es unter den Selketen keine Unreinen mehr. W äre die Prüfung nur aus diesem Grund wichtig, könnte in der T at auf sie verzichtet werden. Die Prüfung durch die Nerbuks auf Doh-Jamal besteht aber noch aus einem zweiten T eil, einem geheimen Ritual, das allein zwischen dem Hüter und seinem Elev vollzogen wird. Und dieses Ritual ist wichtig. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass es der wichtigste A ugenblick in der A usbildung eines Eleven ist.«
    »Ein Ritual?« Der Junge und die Novizin schauten sich ratlos an. »Davon wissen wir nichts.«
    »Das wundert mich nicht.« Ulves lächelte milde. »Es ist ja auch das größte Geheimnis des Hüterzirkels, das außer mir nur die Novizen und die Hüter selbst kennen. Ich bin daher auch nicht befugt, euch mehr darüber zu erzählen. Nur so viel will ich euch verraten. Das Ritual schließt die W eihe zum Novizen ab. W enn es im A nschluss an die Nacht auf Doh-Jamal vollzogen wurde, kann aus einem Novizen jederzeit ein Hüter werden.« Der Zeremonienmeister schaute Corneus an. »Kurz gesagt: Die Prüfung durch die Nerbuks auf der Insel ist heute tatsächlich nicht mehr wichtig. W as dann folgt, im Geheimen, nur zwischen dem Novizen und seinem Hüter, hingegen schon. Insofern hat das Ritual der Novizenweihe auch heute noch seine Berechtigung.«
    Corneus konnte seine A ufregung kaum verbergen. W as Ulves da erzählte, nährte seine Hoffnung, sein Ziel noch schneller als gedacht zu erreichen. W enn die Macht der Hüter über den Schattenberg endgültig verloren war, und es keinen Nachfolger gab, war er der Einzige, der die drohende Katastrophe noch verhindern konnte. Er nahm einen tiefen A temzug und fasste einen Entschluss. »Die Hüter sind tot, Ulves«, sagte er mit schonungsloser Offenheit, ohne auf das Erschrecken im Gesicht des Zeremonienmeisters einzugehen.
    »Alle?« Fassungslos starrte Ulves den Meistermagier an.

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