Die Hüterin des Schattenbergs
rgwohn zu hegen. »Salvias hat uns den W eg doch erklärt«, meinte sie so unbedarft, als wären sie im W ald auf der Suche nach Kräutern.
»Ja, das hat er.« Rik seufzte. »Aber wir wissen nicht, ob es stimmt. W ir haben keine Beweise dafür, dass sich das Buch im Keller befindet. W as ist, wenn es in einem der T ürme versteckt wurde? Selbst wenn die W esen, die es bewachen, uns gewähren lassen … die Feste ist riesig. Schlimmstenfalls müssen wir monatelang suchen, ohne dass wir dieses geheimnisvolle Buch finden.«
»Der einzige W eg, um das herauszufinden, ist, es zu versuchen.« Jemina deutete auf das T or. »Ich vertraue darauf, dass Orekh den W ächtern die richtigen A nweisungen gegeben hat. Er kann nicht gewollt haben, dass die Schatten den Berg wieder verlassen.«
»Was hast du vor?«
»Ich warte, bis sich die W esen zeigen und bitte sie, mich einen Blick in das Buch des Lebens werfen zu lassen. Ich werde ihnen versprechen, dass ich niemandem erzähle, wo das Buch versteckt ist.« Jemina sprach so ruhig, als hätte sie sich jeden Schritt genau überlegt. »Du wirst sehen, so finden wir es ganz schnell.«
»Ach … so einfach stellst du dir das vor. Du spazierst da rein und bittest die W ächter, dich ein wenig in Orekhs Buch lesen zu lassen.« Rik wusste nicht, ob er über so viel A rglosigkeit lachen oder weinen sollte. »Sag mal, hast du vergessen, was Salvias gesagt hat?«, fragte er aufgebracht. »Diese W esen da drin haben alle getötet, die nach dem Buch gesucht haben. W ie um alles in der W elt kommst du darauf, dass sie bei dir eine A usnahme machen?«
»Weil ich eine Novizin bin. W eil die Nerbuks mich für würdig befunden haben, eine Hüterin zu sein und weil Orekhs Erbe in großer Gefahr ist.« Jemina straffte sich, als sie die W orte der Magier wiederholte. »Corneus und Ulves haben gesagt, dass ich es schaffen kann. Sie müssen es wissen. Daran glaube ich.«
»Ich wünschte, ich hätte dein V ertrauen.« Rik schüttelte den Kopf.
»Und ich wünschte, ich hätte deinen Mut!« Jemina stieß Rik mit dem Ellenbogen an. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie so betont zuversichtlich, dass es klang, als müsse sie sich selbst davon überzeugen. »Mein V ertrauen reicht für uns beide. Und jetzt lass uns hineingehen. W enn wir es nicht versuchen, werden wir es nie wissen.«
»Du brauchst meinen Mut nicht«, sagte Rik anerkennend. »Du hast selbst genug davon.« Und in Gedanken fügte er hinzu: Und vielleicht hast auch du die Grenze zur Dummheit schon längst überschritten.
»Komm.« Jemina machte einen Schritt auf das T or zu, hielt dann aber wieder inne und fragte: »Worauf wartest du?«
»Wir haben keine W affen bei uns. Nicht mal ein Kräutermesser.«
»Waffen? W ozu?« Jemina schaute Rik verständnislos an. »Waffen haben in der V ergangenheit nur Leid und Elend über unser Land gebracht. Es sind W erkzeuge des Bösen, geschaffen, um zu töten. Ein friedlicher Mensch kann auch ohne sie auskommen.«
Rik seufzte, wiedersprach aber nicht. Jemina wiederholte fast wörtlich, was in Orekhs Lehren geschrieben stand. W ie es schien, war er der Einzige in ganz Selketien, der sich schwer tat, Orekhs Lehren ohne W iderspruch anzunehmen. Für Jemina, wie für alle anderen, waren sie Gesetz. Er würde sie nicht vom Gegenteil überzeugen können, weil ihr die Fähigkeit fehlte, die Dinge von einer anderen Seite zu betrachten.
»Dann wollen wir mal hoffen, dass Orekhs W ächter seine Lehren ebenso beherzigen«, murmelte er so leise vor sich hin, dass Jemina es nicht hören konnte, nahm einen tiefen A temzug und folgte ihr.
Obwohl alles friedlich war, klopfte ihm das Herz heftig in der Brust, als er neben Jemina auf das T or zuging. Die Sonne schien, der W ind strich sanft um die Mauern und es sah fast so aus, als würde es in dieser einsamen Ruine nichts weiter geben als Mäuse und eine Kolonie von Krähen, die ihre Nester in den T ürmen der Feste gebaut hatten.
Aber gerade das bereitete Rik Sorgen. Bei jedem Schritt fürchtete er, dass sich der Boden unter ihm auftun könnte, um ihn zu verschlingen, oder dass sich albtraumhafte Gestalten aus dem Hinterhalt auf ihn stürzen würden. Wieder musste Rik daran denken, was Galdez zu ihm gesagt hatte: Deine Seele ist nicht schwarz, mein Sohn. Höchstens ein wenig grau .
Er hatte sich damit zufriedengegeben, nun aber war es genau dieses Grau, das ihm Sorge bereitete. W as, wenn die W esen den grauen Schatten auf seiner Seele bemerkten? W ürden sie
Weitere Kostenlose Bücher