Die Hüterin des Schattenbergs
bewahrten ihn noch vor dem Sturz in die T iefe. Blut quoll zwischen den Fingern hervor.
»Oh Schatten! Rik!« Jemina legte die Fackel so ab, dass die Flamme über den A bgrund ragte und ein wenig Licht spendete. Dann kniete sie sich hin.
»Nimm … meine Handgelenke.« Rik keuchte vor A nstrengung. »Du musst … mich hochziehen.«
Jemina zögerte nicht. Flach auf dem Bauch liegend, schob sie sich an den A bgrund heran. Rik war größer und schwerer als sie. Ob sie ihn würde halten können, war mehr als ungewiss. V orsichtig streckte sie die A rme über den A bgrund und umfasste Riks Handgelenke. »Gut so?«
»Ja!« Rik keuchte auf. Jemina spürte, wie er versuchte, mit den Füßen an der Schachtwand Halt zu finden
»Verdammt! Ich finde keinen V orsprung.« Rik pendelte heftiger mit den Beinen.
»Rik, bitte!« Jemina hielt seine Handgelenke fest umklammert, aber so würde sie ihn nicht mehr lange halten können.
»Was für ein schönes Paar!« Salvias hatte die andere Seite des zerstörten T reppenabschnitts erreicht. »Vereint bis in den T od.« Demonstrativ setzte er sich auf die T reppenstufen, verschränkte die A rme vor der Brust und sagte im Plauderton: »Ihr würdet mir wirklich einen großen Dienst erweisen, wenn ihr jetzt abstürzt. Dann muss ich mir die Finger nicht schmutzig machen und Corneus ist zufrieden.«
Corneus! Jemina horchte auf. Nun wusste sie endlich, wer hinter dem heimtückischen A ngriff der Drachenreiter steckte. »Warum will er uns töten?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Aber er braucht uns.« Jemina schnappte nach Luft. Ihre A rme schmerzten.
»Wohl kaum.« Salvias spie gelangweilt in den A bgrund. »Sonst hätte er nicht euren T od befohlen.«
»Aber die Schatten …«
»Die Schatten kümmern ihn nicht. Er wollte nur das Buch.«
Plötzlich spürte Jemina eine Entlastung an den A rmen. »Zieh, Jemina!« Offenbar hatte Rik etwas gefunden, worauf er sich abstützen konnte. Die Hoffnung gab ihr neue Kraft und sie zog, so fest sie konnte. Schweiß rann ihr über die Stirn. Ihre Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Die scharfen Kanten der Steine ritzten blutige Striemen in ihre A rme, aber sie spürte den Schmerz nicht. A lles was zählte war, dass Rik gerettet wurde. »Nicht nachlassen!« Rik keuchte vor A nstrengung. Sein Kopf erschien über der A bbruchkante, dann seine Schultern und ein T eil seines Oberkörpers. Jemina löste die Hände von seinen Handgelenken, packte ihn im Rücken am Gewand und zerrte so fest sie konnte. »Gut so. Du schaffst es!«
Mit einem verzweifelten Ruck warf Rik seinen Oberkörper über die Kante und zog die Beine hinterher.
»Rik! Oh Rik, du hast es geschafft!« Überglücklich schloss Jemina ihren entkräfteten Freund und Gefährten in die A rme. Rik war wieder bei ihr und das war alles, was zählte.
Rik antworte nicht. Er war zu erschöpft.
Dafür hörte sie auf der anderen Seite des A bgrunds das Scharren schwerer Stiefel auf Felsgestein, als Salvias sich erhob und seine Fackel zur Hand nahm. »Diesmal hast du gewonnen, Novizin!«, rief er ihr grimmig zu, während er sich, gefolgt von dem anderen Drachenreiter, wieder an den A ufstieg zur Hohen Feste machte. »Aber freu dich nicht zu früh! W ir sehen uns wieder!«
Nur kurz schaute Jemina den beiden Drachenreitern nach. Dann sammelte sie ihre Fackel auf und wandte sich wieder Rik zu, der immer noch reglos am Boden lag. Es war offensichtlich, dass er am Ende seiner Kräfte war, aber sie durften sich hier nicht mehr lange aufhalten; die Flamme der Fackel würde nicht ewig brennen. Und ohne das Licht waren sie in der Dunkelheit verloren.
»Rik? Rik, hörst du mich?« Sanft berührte sie den Eleven an der Schulter. »Kannst du aufstehen? W ir müssen weiter, ehe die Fackel erlischt.«
Rik brummte eine A ntwort, die Jemina nicht verstehen konnte. A ber er regte sich und streckte ihr seine geschundene Hand entgegen, damit sie ihm beim A ufstehen half. Nur wenige A temzüge später stand er schwankend und schwer atmend neben ihr.
»Wird es gehen?«, fragte Jemina besorgt.
Rik deutete ein Nicken an.
»Gut.« Jemina seufzte. Nun war sie es, die Riks Hand hielt, während sie sich mit der Fackel als erste einen W eg über Schutt und Geröll hinweg bahnte; Stufe um Stufe, die schier endlose T reppe hinab. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie viele Stufen es waren und sie fragte sich, woher sie die Kraft genommen hatte, sie alle zu ersteigen. V oller Sorge blickte sie auf die Fackel, deren
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