Die Hüterin des Schattenbergs
für euch unerreichbar ist.«
»Warum willst du uns töten?«, hörte Rik Jemina neben sich fragen. »Was versprichst du dir davon? Du weißt doch, dass die Schatten den Berg verlassen, wenn nicht bald ein neuer Hüterzirkel benannt wird.«
»Befehl ist Befehl«, erwiderte Salvias kurz angebunden. »Ich frage nicht, ich diene.« Er umfasste sein Schwert fester und ging ohne V orwarnung zum A ngriff über. Mit einem ersten, fast beiläufig geführten Schwerthieb schlug er Rik den A st aus der Hand und fegte ihm mit dem Fuß gleichzeitig die Beine unter dem Leib weg.
Rik stürzte zu Boden. Der A ufprall raubte ihm den A tem und ihm wurde schwarz vor A ugen. Sofort war Salvias über ihm. Ohne auf Jeminas entsetzten A ufschrei zu achten, hob er das Schwert mit beiden Händen und setzte zum tödlichen Hieb an. Rik hob schutzsuchend die A rme.
»Warte!« Jeminas Schrei gellte durch die Nacht.
Salvias hielt mitten im Schlag inne.
»Ich … ich gebe dir die Phiole!«, rief Jemina mit sich überschlagender Stimme, während sie das Glasfläschchen mit zitternden Fingern unter ihrem Gewand hervorholte. »Hier … hier! Ich gebe sie dir, aber bitte … bitte verschone ihn.«
»Wie rührend.« Salvias verzog keine Miene. »Nur leider zu spät. Ich bekomme die Phiole so oder so – spätestens wenn auch du tot bist.« Er grinste. »Aber zuerst ist dein Freund dran und ich gebe zu, das ist mir eine ganz besondere Freude.« Noch einmal setzte er zum Schlag an und diesmal würde er sich nicht aufhalten lassen. Rik schloss die A ugen. Sein Herz raste. Er wusste, dass er die V erzögerung zur Flucht hätte nutzen sollen, aber seine Muskeln waren wie gelähmt und gehorchten ihm nicht. Über das pulsierende Rauschen in seinen Ohren hinweg hörte er Jemina schreien. Er hielt den A tem an und wartete auf den Schmerz, der sein Leben auslöschen würde …
… aber der Schmerz blieb aus.
Dafür wurde die Luft jäh von einem unheimliche Rauschen und schrillen Schreien erfüllt, die keine menschliche Kehle hervorzubringen vermochte. Noch ehe Rik es wagte, die A ugen zu öffnen, hörte er Salvias fluchen.
»Die Krähen!« In Jeminas Stimme schwang Erstaunen mit. »Es sind die Krähen der Hohen Feste! Sie kommen, um uns zu helfen!« Plötzlich war sie bei ihm und zerrte an seinem A rm. »Los! W ir müssen zur T reppe. Ich weiß nicht, wie lange sie die Drachenreiter ablenken können.«
Rik reagierte, ohne zu überlegen. Er rappelte sich auf und stürmte mitten durch das Gewirr aus peitschenden Schwingen und V ogelleibern hinter Jemina auf den Eingang des Schachts zu. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm Salvias und seinen Begleiter, eingehüllt in eine W olke aus schwarzen Leibern. Die Drachenreiter versuchten verbissen, sich mit ihren Schwertern gegen Hunderte Krallen und Schnäbel zur W ehr zu setzen.
Mit Erfolg. Die blitzenden Klingen hielten unter den A ngreifern blutige Ernte. Noch waren die Krähen in der Überzahl, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das Blatt wenden würde.
»Rik! Schnell!« Jemina hatte die T reppe schon fast erreicht. Rik wollte ihr folgen, erinnerte sich aber im letzten A ugenblick daran, dass sie ohne Licht nicht weit kommen würden. Im V orbeigehen zog er eine Fackel aus der Halterung neben dem Eingang und hastete, ohne sich noch einmal umzublicken, hinter Jemina in den T reppenschacht.
Jemina rannte. So schnell, wie noch nie in ihrem Leben. Mit kurzen, hechelnden A temzügen, von denen keiner genügend Luft in ihre Lungen zu bringen schien. Die Kälte brannte ihr in der Kehle, ihr Herz hämmerte und bei jedem Schritt hatte sie das Gefühl, als stäche ihr ein Messer in die Seite. Mit weit ausgreifenden Schritten, immer zwei Stufen auf einmal nehmend und ohne einen Blick zurück zu werfen, folgte sie Rik, der ihre Hand hielt und ihr mit der Fackel immer einen Schritt voraus war. Dem gähnenden A bgrund zu ihrer Linken schenkte sie kaum Beachtung – die Furcht vor den beiden Drachenreitern war größer.
Sie wollen uns töten! Nicht einmal im T raum hätte sie gedacht, dass von den Drachenreitern eine Bedrohung für sie ausgehen könnte. Nun hatten die Ereignisse sie eines Besseren belehrt.
Jemina fragte sich, ob wohl die Nerbuks die Krähen geschickt hatten, um ihr zu helfen. V ermutlich würde sie es nie erfahren. Sie glaubte nicht, dass die V ögel die Drachenreiter noch lange würden aufhalten können und rechnete jeden A ugenblick damit, dass oben an der T reppe das Licht einer
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