Die Hure Babylon
zum Weitermarsch gegeben.
Auch dem König war lange nicht bewusst, dass sein Heer im Begriff war, in Stücke gehauen zu werden. Zum wiederholten Mal war der Vormarsch ins Stocken geraten, und die Männer fluchten ausgiebig über diese Unterbrechungen, wenn sie sicher sein konnten, dass der König ihre Gotteslästerungen nicht hörte. Bis ein Bote sich durch die lange Marschkolonne gekämpft hatte und atemlos berichtete.
Louis war entsetzt.
»Wo ist Rancon?«, fragte er. Es wäre die Aufgabe der Vorhut gewesen, die Marschkolonnen des Hauptheeres zu schützen.
»Wir wissen es nicht. Wir haben seit Stunden jede Berührung verloren.«
»Wie schlimm ist es?«
»Es sind Tausende. Sie greifen von allen Seiten an. Unsere Männer sterben,
Sire.
«
Der König wartete nicht einmal auf die Templer. Umgeben von seiner Garde stürmte er voran. Hornstöße und der Schrei
»Aus dem Weg! Hier reitet der König!«
ließen die Krieger auf der Straße zur Seite springen. So schnell die Pferde sie tragen wollten, jagten die Ritter den Berg hinauf. Doch als sie den Tross erreichten, kamen sie an engen Stellen nur mühsam voran, so sehr war die Straße von Maultieren und Packpferden verstopft.
Jori, weiter oben, sah die Seldschuken aus dem Wald vorrücken. Sein Herz hämmerte in der Brust, denn sie selbst waren zu wenige, um sie aufzuhalten. Er spürte noch seine Wunde, aber das war jetzt unwichtig. Er war nur froh, dass er dank Arnaut als Ritter mit dem Schwert in der Hand und nicht als zerlumpter Bettler sterben würde.
Ihre Bogen hatten die Türken über die Schulter gehängt. Leicht bewaffnet mochten sie sein, aber die schiere Menge an schwertschwingenden Kriegern würde ihr kleines Häuflein schnell erdrücken. Nur das mit Steinen übersäte Bachbett und der Weg trennte sie noch von ihnen.
»Lasst sie kommen und deckt euch gegenseitig. Keine Lücke lassen«, rief er seinen Männern zu. So hatte er es von Arnaut gelernt. »Was auch immer geschieht, bleibt standhaft. Wenn wir fliehen, sind wir alle tot.«
Belinda hatte es beim ersten Angriff versäumt, sich rechtzeitig hinter den Felsen in Sicherheit zu bringen. Nun lag sie im verwelkten Gras mit einem Pfeil in der Brust. Als der Beschuss endlich aufhörte und Joana die Türken nahen sah, rannte sie vor, packte ihre Freundin unter den Achseln und schleifte sie über feuchte Gräser tiefer ins Gebüsch bis hinter den Felsen. Dort ließ sie Belinda erschöpft auf den laubbedeckten Waldboden sinken.
Belinda lächelte schwach, als Joana sich weinend über sie beugte. »Bete für mich, wenn du in Jerusalem bist«, flüsterte sie. Blutige Blasen bildeten sich beim Sprechen in ihren Mundwinkeln. »Am Grab des Herrn. Ich hab’s nicht geschafft, aber du …«
Joana nickte, während ihre Tränen auf Belindas Hände tropften, die sie fest umschlungen hielt. »Ich verspreche es«, sagte sie, obwohl sie glaubte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie alle tot sein würden.
Sie blickte auf und sah Elena mit blutüberströmtem Gesicht am Felsen sitzen. In ihren Armen hielt sie das Neugeborene, deckte es mit ihrem Umhang zu, um es vor der Kälte zu schützen. Neben ihr, mit noch gespreizten Beinen, lag Munira, die bei der letzten Anstrengung ohnmächtig geworden war.
Trotz Kampfeslärm und Stöhnen der Verwundeten um sie herum hörte Joana in diesem Augenblick nur noch das dünne Stimmchen des Kindes, das nach Luft rang. Inmitten von Tod und Zerstörung war ein neues Leben geboren. Ein Wunder Gottes. Falls sie dies hier überleben würde, so wusste Joana in diesem Augenblick, würde ihr Hurendasein für immer ein Ende haben.
»Du musst die Nabelschnur abbinden, Aimar«, sagte Elena so müde, als hätte sie selbst das Kind geboren.
»Und deine Wunde?«, fragte er.
»Nicht wichtig. Nun mach schon.«
Aimar riss sich einen losen Faden aus der Kutte und machte sich an die Arbeit.
Nicht weit von ihrem Standort nahten endlich des Königs Ritter. Dahinter kamen die Templer, und unter den Ersten von ihnen ritt Josselin de Puylaurens mit seinen Turkopolen. Die Seldschuken gegenüber Joris kleiner Schildwand zögerten, als sie die Ritter sahen. Doch der König hielt sich nicht mit ihnen auf. Er suchte sein Hauptheer, das sich weiter vorn befinden musste, und jagte an ihnen vorbei.
Josselin erkannte das Wappen auf Joris Schild und das silberbeschlagene, rote Zaumzeug von Muniras Maultier, das verwundet am Boden lag. Er brüllte seinen Männern einen Befehl zu, schwenkte vom Weg ab,
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