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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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zusammengeschmolzen. Mehr als zwei Dutzend kampffähige Männer zählte sie nicht mehr. Und auch von denen hatte jeder zweite irgendeine Verletzung zu beklagen. Sie waren dreckig, blutbespritzt, Arme und Beine schwer wie Blei, ihre Wunden schmerzten, jede Bewegung schien zu viel. Doch noch schlimmer lastete die Niederlage auf den Gemütern. Kaum einer sprach ein Wort. Stumm tauschten sie scheue Blicke oder Berührungen aus, als wollten sie sich gegenseitig bestätigen, dass sie noch am Leben waren. Arnaut war froh, auch Esteban lebend zu sehen. Er humpelte zwar noch, aber die Wunde, die er am Mäander erhalten hatte, verheilte dank Elenas Pflege.
    Severin beobachtete verstohlen Constansa, die erschöpft auf einen Stein gesunken war und niemandem Beachtung schenkte. Außer einem Bluterguss unter dem Auge schien sie unversehrt.
    »Die überlebt uns noch alle«, murmelte Ferran, der seinem Blick gefolgt war.
    »Sie hat sich verändert.«
    »Wer hat das nicht,
mon velh
«, erwiderte Ferran müde.
    Befehle schallten über das Feld. Ein Reitertrupp wurde ausgesandt, um Rancon und die Vorhut zu finden. Die umliegenden Leichen der Christen wurden hastig für eine kurze Totenmesse zusammengetragen. Für eine Bestattung blieb keine Zeit, denn der Großmeister, Everard de Barres, drängte zum Aufbruch. Wer konnte wissen, ob der Feind nicht ein zweites Mal angreifen würde.
    Starr vor Trauer und Bitterkeit stand der König mit gesenktem Haupt, während die Geistlichen ihre Gebete beendeten. Als Bischof Godefroy de Langres an ihm vorüberging, packte er ihn am Ärmel.
    »Und wo war Gott heute, Bischof?« Seine Stimme war voller Bitterkeit. »Wo waren die Heiligen und die himmlischen Heerscharen, die Ihr uns versprochen habt?«
    Der Bischof sah ihn betroffen an und wusste nichts zu erwidern. Louis wies auf die langen Reihen der Toten vor ihnen. »Zufrieden mit Eurem Werk? Oder sind es der Märtyrer noch nicht genug?«
    »Ich glaube, Ihr vergesst Euch,
Sire.
«
    »Wer uns vergessen hat,
Monseigneur,
das wissen wir. Gott hat uns vergessen.«
    Mit diesen Worten ließ er den Geistlichen stehen. Auch vermied er, der Königin in die Augen zu sehen. Zu tief und zu schmerzhaft waren die Wunden der erlittenen Schmach in seiner Seele, als dass er sie mit dieser Frau, die er liebte, teilen konnte.
    Arnaut verabschiedete sich schweren Herzens von seinem treuen Wallach. Er selbst brachte es nicht fertig, Hand an das verwundete Pferd zu legen. Noch weniger konnte er zusehen, wie seine Gefährten es zerlegten. In aller Eile wurden auch andere Tiere notgeschlachtet und die Fleischstücke auf die Maultiere des nachrückenden Trosses verteilt. Alles Entbehrliche wurde dafür zurückgelassen.
    Rancons Lager erreichten sie erst spät in der Nacht. Viele waren nicht mehr in der Lage, Zelte zu errichten, falls sie überhaupt noch welche besaßen, sondern rollten sich der Kälte zum Trotz halbtot vor Müdigkeit in ihre Decken.
    ♦
    Am nächsten Morgen, im Zelt des Königs, kam die Abrechnung für Rancons Verantwortungslosigkeit.
    »Was habt Ihr Euch dabei gedacht,
Monseigneur?
«, fragte Louis im engen Kreis seiner Berater. Er sprach in gedämpftem Tonfall, aber selten hatten sie ihn so wütend gesehen. Wie ein geprügelter Hund stand Geoffroy de Rancon vor seinem König.
    »Wir hatten keine Anzeichen dafür, dass die Seldschuken in der Nähe waren,
Sire.
«
    »Es ist das zweite Mal, dass Ihr blind am Feind vorbeigestolpert seid.«
    »Es tut mir leid,
Sire.
«
    »Ist Euch nicht in den Sinn gekommen, auf uns zu warten oder Reiter zu schicken, um zu sehen, ob wir Unterstützung gebraucht hätten?«
    Rancon wagte es nicht, den Blick zu heben. Niemand beeilte sich, ihn zu verteidigen. Auch ihm selbst wollte keine kluge Erwiderung einfallen.
    »Ihr hattet Befehl, auf der Passhöhe zu lagern«, fuhr der König unerbittlich fort. »Stattdessen habt Ihr Euch davongemacht.«
    »Nicht aus Feigheit,
Sire
«, entgegnete Rancon mit einem letzten Rest an Würde.
    »Nein, nicht aus Feigheit. Sondern aus Ungehorsam, Achtlosigkeit und bodenloser Dummheit.«
    Die Worte trafen Rancon wie Peitschenhiebe. Noch nie hatte der König so mit einem Untergebenen gesprochen. Die anderen Herren nickten dennoch grimmig ihre Zustimmung, denn nur dem unverzeihlichen Ungehorsam dieses Kerls war es zu verdanken, dass die
militia
beinahe vernichtet worden war. Nahezu zweitausend Mann Fußvolk und nicht wenige Reiter hatten den Tod gefunden, von den vielen Verwundeten, vom Verlust an

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