Die Hure Babylon
zusammenarbeiten.«
Die Herren saßen fassungslos mit offenen Mündern. Sie hatten Tempelrittern zu gehorchen? Wie würden sie da vor ihren eigenen Leuten dastehen? Nein, sie mussten sich verhört haben. Ein Sturm der Entrüstung hob an.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis es dem König und seinem Großmeister gelang, die anderen zu überzeugen, dass es nicht nur das Vernünftigste war, sondern zum Erhalt des Heeres und des eigenen Überlebens zwingend erforderlich. Und wenn der König selbst mit gutem Beispiel voranging und bereit war, sich unterzuordnen, so hatte niemand Grund, um seine Würde vor den Mannschaften zu fürchten.
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Während der nächsten Tage führte der Weg des Heeres durch eine flache, schier endlose Hochebene, zu beiden Seiten von gewaltigen, schneebedeckten Bergen begleitet. Schneeregen und eisige Winde am Tag, Frost und klirrende Kälte in der Nacht. Das Land war wild und einsam, bestand teils aus Kiefernwäldern, teils aus offenem Weideland, dünn besiedelt von turkmenischen Hirten und Kleinbauern, die vor wenigen Generationen eingewandert waren.
Wer auch immer in dieser gottverlassenen Gegend sein Leben aus dem kargen Boden fristete, war vor den herannahenden Christen geflohen. Die einzige Straße war nicht viel mehr als ein steiniger Saumpfad, an Stellen voller zugefrorener Schlammkuhlen.
Viele der Ritter hatten ihr Pferd verloren und marschierten notgedrungen, Schild auf dem Rücken, wie gemeine Fußtruppen. Wer noch einen Gaul besaß, war ständig unterwegs, entweder zum Schutz des Heeres eingeteilt oder zur meist vergeblichen Suche nach Nahrung und Futter.
Von den Seldschuken sah man wenig, und doch schienen sie allgegenwärtig zu sein. Man fand ihre frischen Spuren im Schneematsch, und gelegentlich waren im Dämmerlicht auf einem der Hügelkämme die Umrisse ihrer Spähtrupps zu erkennen, bevor sie wieder verschwanden. Irgendwo da draußen, in den Wäldern oder in den Schluchten der Berge, war der Feind und folgte dem langen Marsch der
militia.
Einmal entdeckten Kundschafter Anzeichen eines größeren Lagers, das hastig verlassen worden war. All dies zeigte, dass der Feind ihnen weiter im Nacken saß.
Die Maßnahmen des Großmeisters schienen zu wirken. Trotz Hunger und Kälte, Verwundungen und schlechter körperlicher Verfassung gab es selten Nachzügler. Die Kolonnen marschierten in guter Ordnung, und auch den Ruf
»Pousse Allemand!«
hatte man schon lange nicht mehr gehört. Im Gegenteil, die Alemannen waren jetzt ein fester Bestandteil der neuen Regelung, die Everard de Barres dem Heer aufgezwungen hatte. Ohne Unterlass ließ er größere Einheiten von vier- oder fünfhundert Reitern zu beiden Seiten der Marschroute das Land durchstreifen, gefolgt von anderen in Kampfbereitschaft, die schnell und je nach Bedarf eingesetzt werden konnten. Hinter diesem schützenden Schirm konnte das Heer unbehelligt marschieren. Massive Angriffe waren bisher ausgeblieben.
Dagegen kam es immer wieder zu Überfällen durch kleinere Gruppen berittener Bogenschützen an Orten, wo die Reiterei sich gerade nicht befand. Unerwartet tauchten diese aus einem Wäldchen oder einer Senke auf, schlugen zu und machten sich wieder davon, bevor die Ritter eingreifen konnten. Nachzügler oder Spähtrupps der Christen, die nach Nahrung suchten, verschwanden oft spurlos. Und wenn man ihre Leichen fand, waren sie grausam zugerichtet.
Doch das Schlimmste war, morgens Kameraden mit durchschnittener Kehle zu finden, Opfer geisterhafter, nächtlicher Überfälle. Das zerrte mehr an den Nerven als ein heißer Kampf am helllichten Tag. Die Männer bekamen Angst, des Nachts am Lagerrand auch nur pissen zu gehen. Wahrscheinlich waren die Übeltäter nicht einmal Seldschuken, sondern einheimische Turkomanen, die auf ihre Weise ihr Land verteidigten. Eine Art der Kriegführung, die den christlichen Rittern fremd und unheimlich war, eine heimtückische Bedrohung, als würden Dämonen nachts aus finsteren Löchern kriechen, um ihre Opfer lautlos zu verschlingen.
Kein Wunder, dass abergläubische Gerüchte die Runde machten. Es seien die Geister getöteter Seldschuken, die sich an ihren Mördern zu rächen suchten. Andere behaupteten, der Schlund der Hölle wäre nicht mehr fern, und mit jedem Schritt nähere man sich dem Untergang. Viele bemühten sich, wach zu bleiben, oder schliefen mit dem Schwert in der Hand. Posten wurden verdoppelt, Wachfeuer loderten bis zum Morgengrauen, und doch kam es immer wieder vor, dass
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