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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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führen.«
    Die anderen blickten sich erstaunt an. Hatte die Königin ihm etwa eingeredet, ihre eigene Person und den lästigen Hofstaat an edlen Damen zu retten, während die Männer sich doch bitte von den Türken in Stücke hauen lassen sollten? Dieser Frau war alles zuzutrauen. Oder hatte der König jeden Sinn für die Wirklichkeit verloren? Niemand konnte Louis’ Worte ernst nehmen, aber keiner wagte, ihm direkt zu widersprechen.
    Everard de Barres, der Großmeister, warf Étienne de Bernay an seiner Seite einen kurzen Blick zu, als wollte er sich Ermutigung holen für das, was er nun zu sagen hatte.
    »Bei allem Respekt,
Sire
«, begann er in seiner höflichen und freundlichen Art, die der König schätzte. »Wenn Ihr auf unsere tapferen Väter verweist, so lagen damals mit Verlaub die Dinge doch ein wenig anders. Sie mussten auf niemanden Rücksicht nehmen und waren sofort in Schlachten mit den Türken verwickelt. Durch Beute und die Eroberung von feindlichen Festungen konnten sie sich genügend bereichern, um damit den Marsch durch Anatolia und die Versorgung des Heeres bestreiten zu können. Und von den christlichen Armeniern wurden sie mit offenen Armen empfangen und mit allem Nötigen versehen. Die fortwährenden Kämpfe waren außerdem dazu angetan, die Männer zu stählen. Nie hat es eine bessere Kampftruppe gegeben.«
    Die Anwesenden, der König inbegriffen, konnten diesen Worten nur zustimmen. Sie erinnerten sich der vielen Geschichten und Legenden, in denen kleine, tapfere Häuflein christlicher Ritter ganze Heerscharen von Sarazenen geschlagen hatten.
    »Wir dagegen, mit Ausnahme der Alemannen«, fuhr Everard fort, »haben den Kampf lange gemieden und uns ganz auf die Byzantiner verlassen. Beute war uns wenig beschieden, stattdessen mussten wir alles Gold, das wir mitgeführt haben, für schlechte und überteuerte Verpflegung ausgeben. Und wie faul und unaufmerksam unsere Krieger geworden sind, das haben wir zu unserem Leidwesen am Kadmus erfahren müssen. Der lange Weg hat uns geschwächt, die meisten Streitrösser sind elendig verreckt, und wir haben einen Großteil unserer Kampfkraft eingebüßt. Ein weiterer langer Marsch durch unwegsames und feindliches Gebiet ohne Pferde oder Maultiere wird unseren Untergang nur beschleunigen.«
    Es war still im Raum geworden. Mit betretenen Mienen hatten die Männer gelauscht. Noch niemand hatte so deutlich die Wahrheit gesagt. Jeder wusste, wenn nicht endlich etwas geschah, war das Ende dieses Pilgerzugs gekommen. Sie blickten auf den König, der mit Tränen in den Augen zugehört hatte. Sein Traum lag in Scherben am Boden.
    Nach langem Schweigen gelang es Louis, Everard de Barres in die Augen zu sehen. »Was schlagt Ihr also vor,
Grand Maître?
«
    »Wir müssen genau das Gegenteil tun,
Sire
«, sagte Everard und verbeugte sich vor der Königin mit einem kleinen Lächeln der Entschuldigung, bevor er fortfuhr. »Nicht die Schwachen sollten wir retten, sondern die Starken. Die Gesunden und Kampffähigen müssen wir nach Antiochia verschiffen, allen voran die Ritter. Dort werden wir auch Pferde und verlorene Ausrüstung ersetzen können. Nur so können wir diesen Pilgerzug zu einem guten Ende führen und unsere Pflicht als
miles christi
erfüllen.«
    »Ihr wollt die anderen hier zurücklassen? Das ist ihr sicherer Tod«, hauchte der König. »Ich kann das nicht.«
    »Wir vertrauen auf Eure Stärke,
Sire
«, sagte Everard mit ruhiger Bestimmtheit. »Wir haben keine andere Wahl. Die Griechen sollen so viele Schiffe sammeln wie nur irgend möglich. Aber wenn es nicht reicht, wird man einige unserer Leute zurücklassen müssen.«
    ♦
    »Da kommt er«, flüsterte Elena.
    »Ist er allein?«, fragte Constansa.
    »Sieht so aus. Versteck dich.«
    Die Gasse war dunkel. Nur an der nächsten Straßenecke brannte eine einsame Fackel, und in ihrem Schein war die hochgewachsene Gestalt des Templers aufgetaucht.
    »
Jes Maria,
ich hab Angst«, murmelte Elena und bekreuzigte sich.
    »Halt dich an das, was wir verabredet haben«, zischte Constansa und packte den Knüppel fester, den sie sich vorher sorgsam ausgesucht hatte. Schwerter waren in der Stadt verboten. Nur ihren Dolch hatte sie hereinschmuggeln können.
    Sie trat einige Schritte zurück und presste sich gegen das kalte Gemäuer des tiefschwarzen, stollenähnlichen Gewölbes, in dem die beiden Frauen sich verborgen hielten. Eigentlich einer der drei Torbogen des einstigen Hadrianstors, das zu Ehren jenes römischen

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