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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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deinen vielen Pferden kann doch ein zweiter Knecht nicht schaden, Arnaut«, sagte er.
    Der vertraute Umgang zwischen Herrn und Diener stammte aus jenen Tagen, als Jori ebenfalls Mitglied von Ermengardas frecher Bande gewesen war. Ein halbverhungerter Straßenlümmel, den sie durch Zufall aufgelesen hatten. Jetzt war er siebzehn und hatte sich zu einem guten Reitknecht gemausert. Mehr als das, denn seit geraumer Zeit unterwies Arnaut ihn im Kampf mit Schwert und Lanze. Erstaunlich, wie dem dünnen Bengel kräftige Schultern und Arme gewachsen waren. Nicht besonders groß, aber geschickt und zäh war er, dazu ein großartiger Reiter. Der Gedanke lag also nahe, ihn als
escudier,
als Knappen und Schildträger, einzusetzen.
    »Du hast nur vier Gäule zu versorgen. Ist dir das etwa schon zu viel?«
    »Es kommt noch einer dazu. Hast du es schon vergessen?«
    Rocafort besaß ein Gestüt mit edlen Pferden, die in der Gegend gefragt waren. Großvater und sein alter Kampfgefährte Hamid hatten den Grundstock mit sechs Arabern gelegt, die sie vor vielen Jahren aus Outremer mitgebracht und mit einheimischen, größeren Rassen gekreuzt hatten. Sie bildeten sie zu Schlachtrössern aus und erzielten sündhaft teure Preise. Arnaut hatte vor, einen jungen Hengst nach Narbona mitzunehmen, um ihn für sich weiter abzurichten.
    »Gut. Fünf also.«
    »Und mit all den anderen Dingen, die ich zu tun habe …«
    Arnaut fing einen Blick zwischen den beiden Jungs auf.
    »Habt ihr euch etwa abgesprochen?«, fragte er misstrauisch. »Ah, ich verstehe. Du strebst nach Höherem und suchst dir einen, der deine Arbeit verrichtet. So läuft das hier.«
    Jori senkte unterwürfig die Augen, konnte sich aber ein verschämtes Grinsen nicht verkneifen, woraufhin Arnaut den Blick gen Himmel hob, als flehe er den Herrn um Beistand an. Dann musterte er erneut den Bauernburschen, der ihn mit großen Augen erwartungsvoll anstarrte.
    »Daraus wird nichts«, sagte Arnaut. »
Senher
Raol wird nie seine Einwilligung geben. Wo kämen wir hin, wenn ihm alle jungen Bauern wegliefen, um die Welt zu sehen.«
    »Er hat schon«, wandte Jori ein.
    »Hat was?«
    »Zugestimmt.«
    »Was?«
    Beide Jungs nickten heftig und grinsten sich zu.
    »Dann warst du es, der ihm die Sache mit Outremer eingeflüstert hat?«, fragte er Jori.
    »Irgendeinen Grund musste ich doch nennen.«
    Dazu fiel Arnaut nichts weiter ein, als den Kopf zu schütteln. Er öffnete den Mund, um Jori zurechtzuweisen, als sein jüngerer Bruder Robert atemlos in den Stall gestürzt kam.
    »Großvater ist erwacht«, rief Robert. »Du sollst kommen.«
    »Wie geht es ihm?«
    »Schlechter, glaub ich. Sein Atem pfeift jetzt ständig.«
    Arnaut erschrak. Während der letzten Tage hatten sie geglaubt, Großvater sei über den Berg. Deshalb war er heute Morgen ausgeritten, ohne nach ihm zu fragen.
    »Geh schon vor. Ich komme.«
    Robert machte kehrt und stürmte wieder aus dem Stall. Arnaut blickte ihm nach und bekreuzigte sich. Gebe Gott, dass es nur eine vorübergehende Verschlechterung war.
    Dann sah er sich den Bauernburschen noch einmal genauer an. Eine Handbreit größer als Jori, schlank, sehnig, mit kräftigen Händen, die schon von der Feldarbeit gezeichnet waren. Ein Bad würde ihm sicher guttun. Vielleicht sollte man ihm auch den Kopf rasieren. Wegen der Läuse.
    »Wie heißt du?«
    »Lois Bernat, Herr.«
    »Also schön, Lois Bernat. Ich werde es mir überlegen. Aber mach dir keine großen Hoffnungen, denn versprechen will ich nichts, verstanden?«
    Ohne ein weiteres Wort stapfte er aus dem Stall und stieg eilig zur
aula
in der Hauptburg hinauf.
    Verschmitzt zwinkerte Jori seinem neuen Freund zu. »Keine Sorge. Ich kenne ihn. Die Sache geht in Ordnung.«
    ♦
    Am Nachmittag war klamme Kälte vom Fluss heraufgestiegen. Die Dörfler hatten sich in ihren Hütten verkrochen. Ein scharfer, böiger Wind trieb sein Unwesen in den Gassen und riss ein paar vergilbte Herbstblätter bis hinauf zu den Zinnen der Burg, über der sich der Himmel grau verschleiert hatte. Hoch oben kreisten Krähen um den Wehrturm, und ihre hässlichen Schreie klangen wie Wehklagen.
    Doch Arnaut nahm nichts davon wahr. Im Sturmschritt erklomm er die Stufen zur
aula.
In der rußgeschwärzten Halle, am Ende der großen Tafel, saßen seine Geschwister, zusammen mit dem alten Hamid, Großvaters Kriegskameraden aus vergangenen Zeiten. Neben ihnen thronte steif und ernst Cortesa, die stämmige Köchin. Maria, ihre Tochter, kam die Stufen von

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