Die Hure Babylon
blieb ihr Blick an einem Mann auf einem schmucken Hengst haften, der weder Helm noch Kettenhaube trug. Er kam ihr bekannt vor. Und dann erinnerte sie sich.
»
Senher
Montalban«, rief sie ihm zu.
Arnaut zügelte sein Pferd, blickte herüber und lenkte Amir vom Weg ab. Seine Miene war ernst, aber ausdruckslos, wie das der meisten anderen Soldaten.
»Domina?«,
fragte er nur, ohne sich mit Verbeugungen oder anderen Höflichkeiten aufzuhalten. Lag auch in seinem Gesicht etwas Vorwurfsvolles, oder bildete sie sich das nur ein?
»Ich bin so froh, Euch wohlbehalten anzutreffen«, murmelte sie verlegen. »Schließlich verdanke ich Euch mein Leben.«
Er nickte nur und machte Anstalten, sich zu entfernen.
»Wartet!«
Die Königin trat ihrem Pferd in die Flanken und reihte sich an seiner Seite ein. Es gab ein kleines Durcheinander hinter ihnen, als die Leibwache sich ebenfalls in die Marschkolonne zwängte.
»Wie ist es gewesen?«, wollte sie wissen. »Ich will die Wahrheit. Ihr sollt mich nicht verschonen.«
Arnaut sagte lange nichts. Dann blickte er sie an. Für einen Moment schien alle Zurückhaltung von ihm abzufallen, und aus seinen dunkelbraunen Augen sprachen Verwundbarkeit und tiefer Schmerz. Ihr wurde bewusst, wie jung er noch war.
»Es hat mehrere Angriffe der Türken gegeben«, erklärte er, »und noch mehr Verluste. Aber das Schlimmste war zuletzt, als der Befehl zum Einschiffen kam. Alles wollte mit, rottete sich am Hafen zusammen. Es war ein gewaltiger Aufruhr. Wir mussten am Ende unsere Waffen gebrauchen.«
»O mon Dieu!«
»Wisst Ihr, wie man sich fühlt, wenn man die eigenen Leute erschlagen muss, um sich selbst zu retten? Ich werde mein Lebtag lang nicht diese anklagenden Augen vergessen. Und die flehenden Hände.« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um die Erinnerung wegzuwischen. »Ich wäre selbst geblieben. Aber man hat Verantwortung für die eigenen Männer und ihre Frauen.«
»Sie haben es also geschafft?«
»Ein paar sind noch gefallen, aber die anderen«, er deutete hinter sich, »die haben es geschafft.«
»Wenigstens das. Dem Herrn sei Dank.«
»Ich danke keinem Herrn,
Domina.
Weder dem da oben noch einem hier auf Erden.« Er starrte sie herausfordernd an. Seine Züge waren wieder beherrscht, doch in den Augen loderte es. »Ich bin mit fünfzig Mann ausgezogen. Übrig geblieben sind weniger als zwei Dutzend. Im ganzen Heer ist es ähnlich. Und wofür? Was haben wir vorzuweisen für diese Opfer? Wir sind bisher nicht einmal in die Nähe unseres Ziels gekommen. Wofür das alles?«
»Wir folgen Gottes Ruf.«
Arnaut lachte spöttisch. »Ich weiß nicht, wessen Ruf wir folgen,
Domina.
Gott jedenfalls scheint es ziemlich gleichgültig zu sein, was wir Menschen hier auf Erden treiben.«
»Sagt das nicht«, erwiderte Alienor betroffen.
»Oder er liebt die Sarazenen mehr als uns.«
Der Gedanke war noch schwerer zu ertragen als Gottes Gleichgültigkeit. Wir hätten nicht den Landweg nehmen sollen, dachte Alienor. König Roger von Sizilien hatte bereitwilligst Schiffe angeboten. Aber der war mit Byzanz verfeindet, und den Kaiser wollte man nicht brüskieren. So war es zu dem langen Marsch gekommen. War all dies Elend nur aus Eitelkeit und dummer Politik geschehen?
In jedem Fall aus sträflicher Unfähigkeit, das war ihr jetzt klargeworden. Louis ließ sich von seinen Ratgebern herumzerren, wie es den Herren gerade passte. Besonders der Klerus hatte sein Ohr. Das Heer hatte er nicht wirklich im Griff gehabt. Und sie selbst, auch wenn sie nichts von Krieg verstand, war mitverantwortlich, das war ihr jetzt deutlich geworden. Sie hatte nicht ihren Verstand gebraucht, hatte sich mehr von Neugier und den Verlockungen einer Reise ins fremdländische Outremer gefangen nehmen lassen, als die Wirklichkeit zu sehen. Ihr Geschlecht und ihre Jugend hatte sie vorgeschoben, um unbequeme Entscheidungen den Älteren und den Männern zu überlassen. Aber von nun an würde sie sich nicht mehr einfach beiseiteschieben lassen.
»Es sind Fehler gemacht worden«, sagte sie. Als Arnaut sie überrascht ansah, legte sie ihm die Hand auf den Arm. »Ihr habt Schlimmes erlebt,
Mossenher.
Ihr müsst Euch ausruhen.«
»Wir brauchen Verpflegung. Und vielleicht zur Abwechslung mal ein Dach über dem Kopf.«
»Für das Nötigste ist gesorgt. Was mich betrifft, so habe ich eine Bitte.«
»Was immer Ihr wünscht,
Domina.
«
»Ich möchte, dass Ihr in meine Dienste tretet. Ihr und Eure kleine Truppe. So kann
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