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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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sich christliche Fürsten vorübergehend sogar mit lokalen Emiren verbündeten, wenn es ihren Absichten dienlich war. Damaskus zum Beispiel war Jerusalem freundschaftlich verbunden, weil die Damaszener Übergriffe von Nur ad-Din fürchteten. Wer sollte sich da noch auskennen?
    In diesem Augenblick erreichte ein Bote die Versammlung der Damen und berichtete, dass in Saint Simeon Schiffe aus Attalia mit Truppen an Bord gelandet seien.
    Die Königin sprang auf. Ihr Gesicht rötete sich. »Wann werden sie erwartet?«
    »Die Ersten werden schon bald die Stadt erreichen.«
    »Lasst mein Pferd satteln. Ich reite ihnen entgegen.«
    Sie verabschiedete sich und eilte in ihre Gemächer, um sich umzuziehen.
    ♦
    Der Anblick der Krieger, die auf der Straße von Saint Simeon herangewandert kamen, versetzte Alienor mit einem Schlag zurück in die Wochen und Monate des langen, verlustreichen Marsches.
    Sie kamen zu Fuß oder zu Pferde, mit rostigen Schilden, die meisten zerlumpt, niedergeschlagen, manche in Verbänden, keine Freude auf den Gesichtern, dass sie es bis hierher geschafft hatten. Alienor versuchte, etwas in ihren Augen zu lesen, aber die Männer nickten ihrer Königin nur teilnahmslos zu, während sie an ihr vorüberzogen. So sieht kein siegreiches Heer aus, durchfuhr es sie.
    »Madame.«
    Vor ihr war plötzlich hoch zu Ross Thierry d’Alsace aufgetaucht. Sie hatte ihn gar nicht kommen sehen. Neben ihm Archambaud de Bourbon. Beide verbeugten sich im Sattel mit steinernen Mienen. Ein Dritter war dabei, wie hieß er noch? Chastillon oder so ähnlich. Der König mochte ihn. Dieser Mann schien besseren Mutes zu sein, denn er lächelte ihr wenigstens zu.
    Sie wandte sich an den Grafen. »Eure Gemahlin lässt Euch grüßen,
Monseigneur
Thierry. Sie erwartet Euch.«
    Er nickte nur. Sein Schweigen verunsicherte sie. Kaum wagte sie die Frage zu stellen, die ihr auf der Seele brannte. »Und wie ist es Euch ergangen, meine Herren?«
    Der
Comte
de Flandre blickte zuerst zu Archambaud hinüber, der schweigend auf seinem Schnauzbart kaute, dann sah er die Königin mit traurigen Augen an.
    »Es war die schwerste Entscheidung, die ich je zu treffen hatte,
Madame.
«
    Sie verstand sofort. »Ihr konntet nicht alle mitbringen«, flüsterte sie und holte tief Luft, als drohte sie zu ersticken.
    »So ist es«, erwiderte er. »Die Byzantiner weigerten sich, mehr für uns zu tun. Sie hielten die Tore gegen uns verschlossen, die Seldschuken bedrängten uns. Und als endlich ein paar Schiffe auftauchten …« Er zuckte mit den Schultern. »Der König hatte mir befohlen, die besten Krieger zu retten, auch um den Preis, die Übrigen ihrem Schicksal zu überlassen.«
    Alienor kamen die Tränen. »Wie viele?«
    »Der Zurückgebliebenen? Fünf- oder sechstausend. Wer weiß das schon so genau. Ein Drittel davon Fußtruppen. Der Rest …« Er sprach nicht weiter. Zu schmerzhaft war die Erinnerung.
    »Werden sie es alleine schaffen?«
    Archambaud, der bisher geschwiegen hatte, räusperte sich. »Es ist nicht wirklich zu erwarten,
Madame.
«
    »Betet für sie,
Majesté
«, sagte Thierry. Damit verbeugte er sich erneut und lenkte sein Pferd auf die Straße zurück. Die anderen folgten ihm.
    Beklommen blickte die Königin ihnen nach. Beschuldigen sie etwa mich?, fragte sie sich. Umgeben von ihrer persönlichen Leibwache, blieb sie unbeweglich auf dem Pferd sitzen und ließ die Soldaten an sich vorüberziehen. Eine namenlose Reihe von verschwommen wahrgenommenen Gesichtern, zwanzig, fünfzig, hundert. Wie viele waren eigentlich fünf- oder sechstausend? Erschreckend viele, stellte sie fest. In diesem Augenblick erfasste sie das ganze Ausmaß dieses Unglücks. Während sie selbst sich in Sicherheit befand, irrten diese vielen Menschen, darunter Frauen und Kinder, in den Bergen von Anatolia umher und wurden vielleicht gerade jetzt von feindlichen Horden niedergemetzelt.
    Sie schlug die Hand vors Gesicht, denn eine tiefe Scham hatte sie erfasst. Es hätte einen anderen Weg geben müssen. Sie hätte Louis überzeugen sollen zu bleiben. Besser, sie wären alle gemeinsam zugrunde gegangen. Doch dann wurde ihr klar, dass auch dies keine Lösung gewesen wäre. Wie waren sie nur in diese Lage geraten? Sie verstand zum ersten Mal, was es hieß, zu herrschen. Wie unwichtig die äußeren Zeichen der Macht waren und wie schwer es war, das Richtige zu tun. Welch grausame Entscheidungen einem abgefordert wurden. Und wie so viele davon betroffen waren.
    Als sie aufsah,

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